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Überwachung in BremenPopulistische Videos

Kommentar von Franziska Betz

Die Bremer Innenbehörde will nun auch Straßenbahnhaltestellen im „Viertel“ mit Kameras ausstatten. Dabei sollte sie das Geld lieber anderswo ausgeben.

Na, haben Sie Lust in ihrem Alltag von so einer Kamera beobachtet zu werden? Foto: Uwe Anspach/dpa

N achdem sie am vergangenen Freitag bereits Videokameras an einer belebten Kreuzung in Gröpelingen in Betrieb genommen hat, plant die Bremer Innenbehörde nun auch einen zentralen Teil des Bremer Viertels mit Kameras zu überwachen. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der CDU hervor, die am Dienstag veröffentlicht wurde. Darin heißt es, dass die SPD-geführte Innenbehörde eine „dauerhafte Videoüberwachung mit Haltestellenbezug“ im Bremer Viertel plant.

Konkret gemeint ist eine Strecke von rund 300 Metern entlang der Straße Vor dem Steintor, zwischen den Straßenbahnhaltestellen Sielwall und Brunnenstraße. Dieser Abschnitt ist ein zentraler Teil des Bremer Viertels. Hier gibt es Kneipen, Restaurants, Imbisse und Geschäfte. Am Abend und an den Wochenenden ist hier viel los.

Aber woher kommt diese Wissbegierde der Behörde? Vor dem Hintergrund verschiedener gewalttätiger Angriffe in Bahnen und Bussen hatte die SPD mit der Überwachung von Haltestellen 2023 Wahlkampf gemacht und Überwachungsmaßnahmen in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt.

Zuvor hatte es unter anderem Ende 2020 einen rassistischen Angriff auf eine Schwarze Bremerin in einem Nachtbus gegeben, 2022 war eine trans* Frau in einer Straßenbahn schwer verletzt worden und Anfang 2023 war ein Straßenbahnfahrer von Jugendlichen verprügelt worden.

Die Behörde hat sich nun die polizeiliche Kriminalitätsstatistik ganz genau angeschaut und im Bereich der Haltestelle Brunnenstraße besonders viele Straftaten gezählt. Aus dem Papier geht aber auch hervor, dass die meisten gezählten Straftaten gar nicht direkt an der Haltestelle stattgefunden haben, sondern an anderen Orten in der Straße Vor dem Steintor. Wenn der genaue Ort der Tat nämlich nicht erfasst ist, wird er in der Statistik einfach für die Mitte der Straße vermerkt. Und genau da befindet sich die Haltestelle.

Tä­te­r*in­nen greifen andere Menschen nicht an, weil sie sich unbeobachtet fühlen, sondern weil es in dieser Gesellschaft einen stillen Rückhalt dafür gibt

Das heißt: Der Innenbehörde geht es eigentlich gar nicht um die Überwachung der Haltestellen, sondern um das Viertel an sich. Doch die präventive Wirkung von Videoüberwachung ist hoch umstritten. Empirische Erkenntnisse, dass diese wirkt, gibt es kaum.

Kurt Mühler und Karsten Lauber von den Universitäten Leipzig und Bochum schrieben erst 2022 in einer Studie vom „eklatanten Widerspruch zwischen Sicherheitsversprechen und den bislang nachgewiesenen Effekten“ der Videoüberwachung und nannten sie den „Prototyp plakativer Kriminalpolitik“. Einfach gesagt: reine Symbolpolitik. Nun gut, könnte man sagen – was ist so schlimm an ein paar symbolischen Kameras, wenn sich Teile der Bevölkerung dadurch sicherer fühlen?

Videoüberwachung schneidet erheblich in die Privatsphäre der Menschen ein, die im Viertel leben, feiern, Einkäufe erledigen oder ihrer Arbeit nachgehen. Der Landesbeauftragte für Datenschutz hatte das bereits für die Überwachung auf der Breminale und in Gröpelingen kritisiert. Und auch das Sicherheitsgefühl ist ungleich verteilt. Tä­te­r*in­nen fühlen sich nicht bemächtigt, andere Menschen anzugreifen, weil sie sich unbeobachtet fühlen, sondern weil es in einer von Rassismus und Transfeindlichkeit geprägten Gesellschaft einen stillen Rückhalt dafür gibt.

Das Geld, dass für die Überwachung draufgehen würde – laut Behörde allein bis zu 250 Tausend Euro nur für die Installation einer Kamera – sollte der Senat lieber in die Stärkung der Zivilgesellschaft stecken. Der Bremer Rat für Integration hatte bereits nach dem rassistischen Angriff 2020 Schulungen für Mit­ar­bei­te­r*in­nen im ÖPNV gefordert. Im Zweifel ist es wichtiger, dass Menschen eingreifen und die Betroffenen unterstützen, als dass der Angriff gefilmt wird.

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Volontär*in taz nord
Seit September 2022 Volontär*in bei der taz nord in Hamburg. Hat Politikwissenschaften und Transkulturelle Studien an der Uni Bremen studiert.
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6 Kommentare

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  • "Tä­te­r*in­nen fühlen sich nicht bemächtigt, andere Menschen anzugreifen, weil sie sich unbeobachtet fühlen, sondern weil es in einer von Rassismus und Transfeindlichkeit geprägten Gesellschaft einen stillen Rückhalt dafür gibt."

    Ich bezweifle, dass dies anwendbar ist auf den Großteil der Straßenkriminalität, um den es geht. Ob die Videoüberwachung dafür ein geeignetes Werkzeug ist? Anhand des schon in den Kommentaren genannten "Präventionsparadoxons" ist das schwierig zu beurteilen. Dass die Videoüberwachung aber auch zur Aufklärung bereits vergangener und damit teils zur Prävention _weiterer_ Straftaten beiträgt, lässt sich am Beispiel der Videoüberwachung am HBF nachweisen. Ich frage mich mittlerweile: warum ist es für so viele Irgendwielinke so schwer zu akzeptieren, dass Sicherheit im öffentlichen Raum und, ja, auch ein schlichtes, subjektives Sicherheitsgefühl, durchaus ein legitimes "Ding" ist? Verweise auf mögliche strukturelle Ursachen ändern ja nichts daran, dass niemand Lust hat, Opfer schnöder, unpolitischer Strassenkriminalität zu werden und auch niemand das werden sollte.

  • Es gibt zu wenige Kameras.



    Diese Kameras an der Haltestelle nehmen, wie geschrieben wurde, nicht die Tat in der dunklen Ecke auf, aber einen möglichen Verdächtigen der zu diesem Zeitpunkt aus der Ecke hervor ins Licht kam.



    Wenn ich durch London laufe muss ich mir keine Gedanken machen das mir jemand meinen Koffer krallt und damit beginnt zu rennen. Jeder Weiß er würde von allen Seiten gefilmt und außer solchen Leuten stört es in England niemanden. Warum hier?

  • Ich wäre froh, wenn mehr Haltestellen überwacht würden. Dann müsste ich nicht so oft im Winter im nassen und kalten Wind und im Sommer in der prallen Sonne stehen, weil das Wartehäuschen mal wieder von einigen Idioten "entglast" wurde. Vielleicht sollte die taz weniger an die Täter, sondern mehr an die Geschädigten (die wie ich öfters an kaputten Haltestellen stehen) oder gar an die Opfer (wenn diese direkt angegriffen wurden) denken.

  • Gibt es denn Studien die Angriffe auf Grundlage eines "stillen gesellschaftlichen Rückhalts" belegen?

    Oder ist der Rückhalt im direkten persönlichen Umfeld relevant, also Peer-Group oder Familie?

    Wäre durchaus ein deutlicher Unterschied.

    Was die Herren von der Uni Leipzig nicht berücksichtigen, ist der präventive Aspekt.

    Der Effekt von Prävention lässt sich typischerweise nicht nachweisen.

    Verschiedene ÖPNV-Gesellschaften sind von Kameras recht überzeugt.

    Liegen die alle falsch?

  • "250 Tausend Euro nur für die Installation einer Kamera"

    Wie bitte? Was ist das denn für eine Kamera? Es fließt offenbar immer noch viel zu viel Steuergeld.

  • Abschreckend wirkt die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. Da helfen Kameras naturgemäß. Dass die Umstehenden eingreifen, ist eher nicht zu erwarten. Das erfordert nämlich nicht "Zivilcourage", sondern Mut, und der ist bekanntlich nicht mehr gefragt in Deutschland.