Überschwemmungen in Kentucky: Klimakatastrophe im Kohlestaat
Im US-Bundesstaat Kentucky sind mindestens 25 Menschen bei Überschwemmungen gestorben. Ob der Klimawandel eine Rolle spielt, ist dort ein Politikum.
Hunderte Menschen im Osten von Kentucky sind bis Samstagnachmittag aus der Luft geborgen worden. Aber Hunderte weitere werden vermisst. Erst in den kommenden Wochen wird sich zeigen wird, wie viele tatsächlich bei den Überschwemmungen ums Leben gekommen sind, warnt der Gouverneur.
Ob es einen Zusammenhang zwischen den stärksten je beobachteten Regenfällen in Kentucky und dem Klimawandel gibt, will Beshear nicht sagen. Der Gouverneur ist ein Demokrat. Anders als viele andere Politiker in den Südstaaten hält er den Klimawandel für real. Aber er will die Tragödie nicht „politisieren“, sagt er bei der Pressekonferenz am Samstag.
Als der Regen auf Ost-Kentucky herunterging, blieb vielen nur die Flucht auf Hausdächer. Eine 17-Jährige und ihr Hund harrten stundenlang auf einem immer kleiner werdenden Dachgiebel aus, bis sie geborgen wurden. Eine 98-Jährige und ihr über 70-jähriger Sohn im Letcher County schwammen den Katastrophenhelfern aus einem Fenster ihres Hauses entgegen. Eine sechsköpfige Familie im Knott County klammerte sich zunächst an einen Baum. Dann riss eine Flutwelle alle vier Kinder gleichzeitig in den Tod. Nur die Eltern überlebten.
Wissenschaftler und Klimaaktivisten sehen seit Langem einen Zusammenhang zwischen Hitze und Feuchtigkeit. „In Kentucky wird es heißer und feuchter“, stellt Megan Schargorodski, die Klimatologin des Bundesstaates, fest. Die Organisation „Climate Central“ hat im April Untersuchungen veröffentlicht, wonach die Niederschlagsintensität im Osten von Kentucky im letzten halben Jahrhundert massiv gestiegen ist: In Hazard nahm der Regen um 17 Prozent zu, in Louisville sogar um 25 Prozent.
Weil Regen und katastrophale Überschwemmungen auch in anderen Bundesstaaten der USA zunehmen, belaufen sich die dadurch entstehenden Eigentumsschäden schon jetzt landesweit auf rund 20 Milliarden Dollar pro Jahr, hat die „First Street Foundation“ herausgefunden. Die Stiftung ist auf Klimarisiken spezialisiert. Sie hält es für möglich, dass die Eigentumsschäden durch Überschwemmungen in den nächsten 30 Jahren um 60 Prozent zunehmen werden.
Kentucky ist zugleich Opfer und Mitverursacher des Klimawandels. Die Geschichte des Bundesstaates ist eng mit dem Kohlebergbau verknüpft. Ein Fünftel der US-Kohleförderung stammt aus Kentucky – davon der größte Teil aus den Appalachen. In der Region bestimmen Holz- und Kohleabbau die Ökonomie. Der Kohleabbau in den Appalachen findet sowohl unter Tage als auch unter offenem Himmel statt. In der Region sind Hunderte Bergspitzen gesprengt worden, um den Zugang zur Kohle zu erleichtern. Kohle bestimmt auch Kentuckys Energieproduktion: 70 Prozent der Elektrizität des Bundesstaates wird mit Kohle hergestellt.
Die Zahl der Arbeitsplätze im Kohlebergbau von Kentucky ist zuletzt auf 4.300 geschrumpft. Aber Kritik an der Kohle sowie die Diskussion über den Klimawandel ist in dem Bundesstaat weiterhin mit hohen politischen Risiken verbunden. Dafür sorgen mächtige Lobbygruppen wie die „Friends of Coal“. Der Chef des einflussreichen „Ausschuss für natürliche Ressourcen und Energie“ in Kentucky, der Republikaner Jim Gooch, bestreitet den Klimawandel. Kentuckys ehemaliger Gouverneur Matt Bevin, ebenfalls ein Republikaner, bezeichnete den Klimawandel als „Witz“. Überraschend verlor er 2019 gegen den Demokraten Beshear. Aber der Abstand zwischen den beiden betrug nur knappe 0,4 Prozent. Und die Republikaner halten weiterhin eine Super-Mehrheit in Frankfort, mit der sie fast alle Initiativen des demokratischen Gouverneurs blockieren.
Für Kentucky sind die Überschwemmungen die zweite Katastrophe binnen weniger Monate. Erst Ende 2021 wüteten in dem Bundesstaat Tornados, bei denen mehr als 70 Menschen ums Leben kamen.
Den Überlebenden in den Appalachen stehen jetzt harte Zeiten bevor. Nach dem Rekordregen droht ihnen eine Rekordhitze. Viele haben ihren kompletten Besitz verloren. Und viele haben keine Überschwemmungsversicherung. Die Appalachen sind eine der ärmsten Regionen der USA. Und obwohl bekannt ist, dass ihre engen Täler anfällig für Überschwemmungen sind, gibt es weder Pläne noch Ressourcen zur Schadensbegrenzung. „Wir brauchen mehr als Gedanken und Gebete“, schreibt die Zeitung Lexington Herald-Leader am Samstag als Reaktion auf die politische Untätigkeit: „Wir brauchen Forschung, Wissen und Vorsorge“.
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