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Überraschende Wende in SyrienStunde null in Aleppo

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Nach den Rückschlägen des Assad-Regimes ist die Zukunft Syriens wieder offen. Für viele Geflüchtete ist es ein Moment der Freude – doch wie lange?

Oppositionskräfte haben Aleppo zurückerobert Foto: Anas Alkharboutli/dpa

A leppo war die Hölle vor acht Jahren, als Russland und Syriens Assad-Regime jeden Tag und jede Nacht Fassbomben und Raketen auf die schutzlosen und ausgehungerten Menschen im von Rebellen gehaltenen Ostteil der Stadt niederprasseln ließen. Lebensmittel und Medikamente kamen nicht hinein, wer den Opfern half, wurde als Islamist diffamiert.

Als die Überlebenden im Dezember 2016 abziehen mussten und im Winterregen in grünen Bussen durch die Trümmerlandschaft ihrer Stadt ins Rebellengebiet von Idlib gebracht wurden, war Assads und Putins Triumph scheinbar komplett. Aber schon damals stand „Wir kommen wieder“ an den Wänden mancher Ruinen.

Acht Jahre später sind sie wiedergekommen. Syriens Rebellen haben in einer spektakulären Blitzoffensive die Millionenstadt Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht – kampflos. Die grün-weiß-schwarze Flagge des „freien Syrien“ weht über einer der ältesten Städte der Welt. Die wichtigsten Militärbasen im Norden Syriens sind erobert, selbst Russland zieht sich aus diesem Landesteil zurück.

Es ist eine historische Revanche, fast ohne Beispiel in der Geschichte. Die 20-jährigen jungen Kämpfer von heute waren 12, als sie von Assad ausgebombt wurden. Sie sind geprägt vom Überlebenskampf gegen ein Terrorregime, das ohne Skrupel lieber die syrische Bevölkerung umbringt, als seine Macht zu teilen.

Syrien muss neu entstehen – ohne Assad, ohne Warlords

Jetzt bröckelt das Assad-Regime in ganz Syrien. Die Zukunft ist vollständig offen, und nicht wenige blicken auch voller Angst auf das, was da kommen könnte. Werden unter den Rebellen radikale Islamisten den Ton angeben? Kommt es zum Krieg zwischen verschiedenen Fraktionen? Spielen äußere Mächte, allen voran die Türkei, syrische Gruppen gegeneinander aus?

Die meisten Demokratieaktivisten, die 2011 todesmutig für ein „freies Syrien“ auf die Straße gingen, sind längst tot: verhungert, von Giftgas getötet, erschossen, in Folterkellern zermalmt. Wer jetzt noch kämpfen kann, hat Unvorstellbares überstehen müssen.

Niemand in Syrien traut irgendwem. Seit Generationen hat das Regime die Menschen zum gegenseitigen Misstrauen erzogen, es herrscht Gewalt und Rechtlosigkeit; wer sich nicht um sich selbst kümmert, ist verloren.

In dieser Situation ein demokratisches Syrien aufzubauen, grenzt an Unmöglichkeit. Aber genau das muss jetzt geschehen. Syrien muss neu entstehen – ohne Assad, ohne Warlords. Der erste Schritt dorthin ist gemacht. Die Millionen Menschen aus Syrien, die in aller Welt seit Jahren auf ein Ende des Schreckens hoffen, haben diesen Moment der Freude verdient. Sie ahnen selbst, dass er nicht von Dauer sein könnte.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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7 Kommentare

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  • „Die Zukunft ist vollständig offen, und nicht wenige blicken auch voller Angst auf das, was da kommen könnte. Werden unter den Rebellen radikale Islamisten den Ton angeben?“



    Ist diese „Zukunft“ gerade nicht. Die Rebellen, die vorrücken, sind nichts anderes als „radikalen Islamisten“.



    „In dieser Situation ein demokratisches Syrien aufzubauen, grenzt an Unmöglichkeit. (…) Die Millionen Menschen aus Syrien, die in aller Welt seit Jahren auf ein Ende des Schreckens hoffen, haben diesen Moment der Freude verdient. Sie ahnen selbst, dass er nicht von Dauer sein könnte.“



    Allerdings! Ich halte es mit den 50% Syrern, die sich dem Anti-Assad-Aufstand nie anschlossen oder wie die Kurden Arrangements schlossen. Nicht weil sie Diktaturfans sind, sondern weil sie wissen, dass eine islamistische Diktatur um Längen schlimmer ist als das Assad-Regime.



    Besseres hatte in Syrien leider keine Machtoption. Der IS war eine Warnung an die demokratischen Assad-Gegner und ein Imageproblem für die Islamisten. Aber mehr eben nicht.



    „Es ist eine historische Revanche“, genugtut Herr Johnson, der nicht in Syrien leben muss.

  • Sehr optimistischer Kommentar.

  • "Syrien muss neu entstehen – ohne Assad, ohne Warlords"

    Und ohne taliban-ähnliche Islamisten, meiner Meinung nach.

    "Die Millionen Menschen aus Syrien, die in aller Welt seit Jahren auf ein Ende des Schreckens hoffen, haben diesen Moment der Freude verdient."

    Was ich mich frage, ähnlich wie bei der Situation in Afghanistan, ist, ob die Millionen Menschen aus Syrien, wenn sie zurückkehren würden, zumindest die wehrhaften Männer und Frauen, einen Unterschied machen könnten.



    In Bezug auf Afghanistan denke ich öfter darüber nach, ob die Millionen afghanischen Bürger:innen im Exil, zumindest die wehrhaften Männer und Frauen, oftmals auf Grund ihrer Flucht mit auch anderen Werten vertraut, das grausame Regime hätten abwenden können, wenn sie sich für die Rückkehr und den Aufbau eines demokratischen Staates, sofern gewünscht, eingesetzt hätten.

  • Ich befürchte, dass diese Islamisten in Syrien nun einen klerikal-faschistischen Staat wie Kalifat errichten, wo z.B. Frauen unterdrückt werden.

    Denn für diese Fundamentalisten-Fanboys regelt ja d̵e̵r̵ ̵M̵a̵r̵k̵t̵ Gott alles.

    • @Ice-T:

      "Ich befürchte, dass diese Islamisten in Syrien nun einen klerikal-faschistischen Staat wie Kalifat errichten, ..."

      Diese Befürchtung habe ich auch. Wenn die Information, dass die Islamisten von u.a. der Türkei unterstützt werden, stimmen sollte, bleibt die Hoffnung, dass Syrien ein Staat werden könnte, der islamistischer als die Türkei, aber nicht ganz so islamistisch wie der Iran wird. Was aber nichts daran ändert, dass es für Frauen und LGBTQIA+ schlimm werden wird. Ich bin in diesem Zusammenhang froh darüber, dass 2022 nur noch vier jüdische Menschen in Syrien lebten, hochbetagt, die hoffentlich von den Islamisten verschont werden. Vielleicht wollen/können sie Syrien jetzt doch verlassen.

  • Wenn die Islamisten Syrien übernehmen, wird das keine Demokratie, sondern ein zweites Afghanistan.

    • @TeeTS:

      Noch schlimmer, ein klerikal-faschistischer Staat wie Iran, der aktiv die Weltgemeinschaft und ihre liberal-demokratische Grundordnung zu destabilisieren versucht, indem dieser u.a. weltweit Terroristen und Islamisten unterstützt, die in schwächeren Ländern unterwandern wollen.