Übernahme von Twitter: Elon Musk macht Rückzieher
Musk will den Kurznachrichtendienst doch nicht mehr kaufen – aus fadenscheinigen Gründen. Der Twitter-Verwaltungsrat will dagegen vor Gericht gehen.
Überraschend kommt Musks Kehrtwende nicht: Musk hatte schon seit Wochen die Twitter-Zahlen öffentlich angezweifelt. Das wurde von Beobachtern als Versuch interpretiert, zumindest den Preis zu drücken. Zu seinem Gebot wäre der Deal mehr als 44 Milliarden Dollar (rund 43 Mrd Euro) schwer, während Twitter an der Börse zuletzt rund 28 Milliarden Dollar wert war. Beobachter hatten spekuliert, dass Musk angesichts der Preisdifferenz nicht mehr gewillt war, an dem ursprünglichen Gebot festzuhalten.
Musk hatte im Frühjahr zum Kauf von Twitter angesetzt. Er betonte wiederholt, es gehe ihm dabei nicht um Geld, sondern vor allem darum, die Redefreiheit auf der Plattform zu stärken. So sagte Musk, er würde den von Twitter verbannten ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump wieder zurück auf die Plattform lassen.
Der Verwaltungsrat des Online-Dienstes sperrte sich zunächst gegen Musks Gebot von 54,20 Dollar je Aktie, akzeptierte es dann aber doch. Als nächstes sollten in den kommenden Monaten die Aktionäre über den Verkauf ihrer Anteile an Musk abstimmen. Musks Preis wäre für viele von ihnen ein guter Deal: Schon vor seinem Rückzieher am Freitag ging das Papier bei nur 36,81 Dollar aus dem US-Handel.
Musk versuchte schon seit Mitte Mai, angeblich falsche Schätzungen von Twitter zur Zahl der Spam- und Fake-Accounts zum Thema zu machen. So erklärte er den Übernahmedeal deswegen bereits für ausgesetzt. Musks Anwälte erklärten nun, Twitter habe es seit fast zwei Monaten versäumt, Musk und seinem Beraterstab die benötigten Datenzugänge zur Überprüfung der Angaben zu Fake-Accounts bereitzustellen. Unter anderem seien Abrufe über Schnittstellen begrenzt worden. Musks Seite bezeichnet das als einen Bruch der Vertragspflichten, der eine Auflösung der Kaufvereinbarung rechtfertige. Ob das Gericht in Delaware das genauso sieht, wird von US-Beobachtern angezweifelt.
Twitter: Weniger als fünf Prozent gefälschte Accounts
Twitter schätzt – und zwar schon seit einiger Zeit – dass die Zahl der gefälschten Accounts bei weniger als fünf Prozent liegt. Musk zweifelte das an – bereits nachdem er die Übernahmevereinbarung unterschrieben hatte.
Twitter will Musk nicht aus dem Kaufvertrag rauslassen. Man halte daran fest, den Verkauf zu dem mit ihm vereinbarten Preis abzuschließen und plane, dafür vor Gericht zu gehen, betonte Verwaltungsratschef Bret Taylor.
Musk und Twitter haben eine Strafe von einer Milliarde Dollar vereinbart, falls eine Partei den Deal nicht umsetzen kann. Dabei geht es aber eher um Probleme wie eine gescheiterte Finanzierung als eine Kehrtwende.
Musk ist bereits Großaktionär mit einem Anteil von gut neun Prozent, den er vor Ankündigung der Übernahmepläne an der Börse zusammenkaufte. Auch hier gab es Ärger. So hielt Musk die Frist nicht ein, in der das Überschreiten der Beteiligung von fünf Prozent öffentlich gemacht werden muss. Da nach dieser Mitteilung der Aktienpreis hochsprang, wird Musk in einer Anlegerklage vorgeworfen, er habe mit der Verzögerung viel Geld beim Kauf weiterer Aktien gespart.
Auch wenn Musk betonte, es gehe bei dem Twitter-Deal nicht um Geld, so hätte er dafür jedoch einen Teil seines Vermögens einsetzen müssen. Der Chef des Elektroautobauers Tesla und der Raumfahrtfirma SpaceX ist zwar der mit Abstand reichste Mann der Welt – sein auf über 220 Milliarden Dollar geschätzter Besitz besteht jedoch hauptsächlich aus Aktien. Um Geld flüssig zu machen, trennte er sich zum Teil von Anteilsscheinen. Auch wollte er Kredite aufnehmen und andere Geldgeber ins Boot holen.
Für Twitter bedeutet die Entwicklung potenziell weitere Monate der Ungewissheit. Der Online-Dienst kürzte bereits seine Ausgaben.
Dass versucht wird, Übernahmen in dieser Größenordnung abzublasen, passiert selten, kommt aber vor. So wollte das französische Luxusartikel-Konglomerat LVMH die Übernahme des US-Juweliers Tiffany unter Verweis auf Geschäftseinbrüche in der Corona-Pandemie absagen. Der Streit endete damit, dass Tiffany ein niedrigeres Gebot von 131,5 Dollar pro Aktie statt der ursprünglichen 135 Dollar akzeptierte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin