Überlastete Kinderkliniken: Weihnachten am Klinikbett

Kurz vor den Feiertagen bleibt die Lage in den Kinderkrankenhäusern angespannt. Auch viele Mit­ar­bei­te­r*in­nen sind krank. Drei Erfahrungsberichte.

Es fehlen Betten und es fehlt geschultes Personal: Die Situation in Kinderkliniken entspannt sich vorerst nicht Foto: Marijan Murat/dpa

BERLIN taz | Die Situation in den Kinderkrankenhäusern ist weit davon entfernt, sich zu entspannen. An den Weihnachtsfeiertagen, wenn die Kinderarztpraxen geschlossen sein werden, wird es womöglich noch voller. Mit drei Ärz­t*in­nen hat die taz über ihre aktuelle Situation gesprochen. Alle drei engagieren sich in der Initiative der Berliner Kinderkliniken für eine bessere Versorgung. Aus Angst vor negativen Konsequenzen sollen ihre echten Namen nicht in der Zeitung stehen.

„Eigentlich müsste man schreiend aus jeder ­Notaufnahme rausrennen“

Genau das sei eingetroffen, sagt Aysan Yilmaz*, „was wir befürchtet haben“. Sie ist Kinderärztin in einer Ambulanz, regelmäßig springt sie aktuell auf den überbelegten Kinderstationen und in der viel zu vollen Rettungsstelle ein. „Letztes Jahr waren es Einzelfälle, bei denen es hätte besser laufen können. Inzwischen gilt das für den Großteil der Kinder“, sagt Yilmaz.

Eigentlich gibt es klare Vor­gaben, wann vor allem kleine Kinder mit Atemwegsinfekten und schlechter Sauerstoffsättigung aufzunehmen sind. Und trotzdem schicken sie Eltern nach Hause, sagt Yilmaz. Weil absolut kein Bett frei ist für ihre Kinder und weil Eltern einer ­Verlegung in ein Stunden entferntes Krankenhaus nicht zustimmen.

Immerhin, so die Kinderärztin, sei ihre Not jetzt sichtbarer, und in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet, hat sich seit Mitte Dezember etwas getan. Me­di­zin­stu­den­t:in­nen sollen jetzt einspringen für administrative Arbeiten und so die entlasten, die mit den Kindern arbeiten.

Doch selbst wenn es für die Kinderkrankenhäuser ab Januar mehr Geld gibt, sagt Yilmaz, und selbst wenn es zumindest in Berlin genügend Be­wer­be­r:in­nen gibt, um zusätzliche Stellen zu besetzen, in der Kinderkrankenpflege gibt es kein Personal. „Die wenigen, die sich noch dafür interessieren, werden schon in der Ausbildung eher abgeschreckt“, klagt Yilmaz.

„Der Job lebt davon, dass es Spaß macht, sich jedem Kind individuell widmen zu können“, sagt die Kinderärztin. Viel übrig ist davon aktuell nicht. „Eigentlich müsste man schreiend aus jeder Notaufnahme rausrennen.“ Gerade dort würden häufig die unerfahrensten Kol­le­g:in­nen eingesetzt. „Ich sorge mich um die, die wenig Erfahrung haben, aber an vorderster Front kämpfen müssen und ungeschützt mit dieser Masse und Krankheitsschwere konfrontiert sind.“

„Ich habe Angst, falsche ­Entscheidungen zu treffen“

Eigentlich soll Nora Rudoff* mit einer erfahrenen Kol­le­g:in im Nachtdienst arbeiten. Sie ist Assistenzärztin im zweiten Ausbildungsjahr und erst seit rund 15 Monaten Ärztin. Aber es sind nicht nur die Kinder krank, sondern auch das Personal. Deshalb ist Rudoff immer wieder allein im Dienst und dann verantwortlich für die 40 Kinder der Normalstation und die vielen Kinder in der Rettungsstelle.

Rudoff erzählt von einer Nachtschicht: „Ich habe schon ein Neu­geborenes mit Fieber in der ­Rettungsstelle und ein Kind, das gerade seinen ersten epileptischen Anfall hatte. Beide gehören ins Krankenhaus. Das nächste freie Bett ist in ­Frankfurt (Oder). Es ist 4.30 Uhr, einen Krankentransport gibt es um diese Zeit nicht. Dutzende Kinder warten in der Rettungsstelle. Und dann kommt noch ein Notfall, der eigentlich auch intensivpflichtig ist. Ich bin die einzige Ärztin und muss alles allein entscheiden. Ich habe immer wieder Angst, dass ich mit meiner relativ geringen Erfahrung falsche Entscheidungen treffe.“

Manchmal ruft Rudoff von zu Hause bei den Kol­le­g:in­nen an, um sich zu vergewissern, dass das Kind, für das sie kein Intensivbett hatte, noch stabil ist. Bis in die Träume folge ihr der Dienst. Dazu kommt die wenige Freizeit und die soziale Isolation durch den Schichtdienst.

Als wir sprechen, hat es Rudoff gerade selbst erwischt. RS-Virus und Influenza gleichzeitig.

„Was noch funktioniert, ist der Zusammenhalt“

Weihnachten hat Maya Karimi* frei. Noch. Jeden Tag werden Kol­le­g:in­nen gesucht, die einspringen. Bei den Ärz­t:in­nen und bei den Pflegekräften.

Für die, die dann bis zu 12 Stunden am Stück arbeiten müssen, kann jeder Tag zum Kampf werden. „Ich sehe die As­sis­tenz­ärz­t:in­nen im ersten Jahr und in ihren Augen die pure Verzweiflung“, sagt Karimi.

Sie selbst ist nun im dritten Jahr. Als sie neulich zum Spätdienst in die Kinderrettungsstelle kam, hätte es ausgesehen „wie im Krisengebiet“, sagt sie. Viel zu viele Kinder, alle nah beieinander. Dazwischen welche mit hochansteckenden Infektionskrankheiten. Ein gerade zwei Monate altes Kind untersucht die Assistenzärztin auf dem Flur, weil alle Untersuchungsräume schon belegt sind. Das Baby hat RSV, das kann ­lebensgefährlich werden. Aber beim letzten verfügbaren ­Sauerstoffmonitor ist der Akku leer.

Sowohl für die Überwachung als auch für die Atemunterstützung seien die Geräte zu knapp. Auf den Intensivstationen, erzählt Karimi, werde immer wieder die Therapie reduziert, um Betten für noch krankere Kinder frei zu machen. Anstehende Herzoperationen würden verschoben, weil kein Intensivbett frei ist.

Alle Stationen seien überbelegt, Personalschlüssel würden längst nicht mehr eingehalten. Wenn es noch ein belegbares Bett für ein Kind gibt, dann oft nicht für die Eltern, die auf Stühlen neben den Kindern schlafen. Wenn es auch für die Kinder kein Bett mehr gibt, werde bis nach Hannover verlegt.

Auf den Kinderintensivstationen werde zum Teil inzwischen auch Erwachsenenpersonal eingesetzt. So wie es Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Kliniken empfohlen hatte. Manche von ihnen, erzählt Karimi, klappten einfach zusammen. Die emotio­nale Belastung, die die Arbeit mit schwerkranken Kindern mit sich bringt, seien sie nicht gewohnt.

Die Assistenzärztin bleibt Weihnachten in der Stadt. Wenn Kol­le­g:in­nen ausfallen und sonst niemand mehr einspringen kann, dann will sie da sein. „Was wirklich noch funktioniert, ist der Zusammenhalt.“

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