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Überdüngung bald leichter gemacht

Die Bundesregierung plant: Bauern sollen nicht mehr in einer Stoffstrombilanz errechnen müssen, wie viel Stickstoff und Phosphor sie in die Umwelt abgeben

Darf es etwas mehr sein? Gülleausbringung auf einem Feld Foto: Wolfilser/imago

Von Jost Maurin

Die Bundesregierung will eine wichtige Vorschrift gegen die umwelt- und klimaschädliche Überdüngung kippen. Dem Kabinett wird voraussichtlich am Dienstag ein Vorschlag von CSU-Agrarminister Alois Rainer vorliegen. Demnach sollen Bauern per Verordnung von der Pflicht befreit werden, eine „Stoffstrombilanz“ zu erstellen. Solche bisher für manche Höfe vorgeschriebenen Berechnungen zeigen, wie viel Pflanzennährstoffe der einzelne Betrieb in die Umwelt abgibt. Mithilfe der Stoffstrombilanz könnten Höfe sanktioniert werden, die zu hohe Nährstoffüberschüsse verursachen. Rainers Ministerium hält die Vorschrift einem Sprecher zufolge für eine „unnötige bürokratische Last“.

Landwirte bringen laut Umweltbundesamt im Schnitt pro Jahr und Hektar rund 80 Kilogramm Stickstoff etwa in Gülle oder Mineraldünger mehr aus, als ihre Pflanzen aufnehmen. Dieser Nährstoff-Überschuss schadet Klima, Grundwasser und Artenvielfalt. An vielen Messstellen wird der Grenzwert von 50 Milligramm der potenziell gesundheitsschädlichen Stickstoffverbindung Nitrat pro Liter Grundwasser überschritten. Dabei wird aus Grundwasser das meiste Trinkwasser gewonnen. Die Emissionen aus Phosphordünger belasten den ökologischen Zustand der Meere.

Doch Rainers Ministerium will die obligatorische Stoffstrombilanz einem Verordnungsentwurf zufolge streichen. Denn CDU/CSU und SPD haben auf Druck des Bauernverbands in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, auf dieses Instrument zu verzichten. Es bringe für die Landwirte Bürokratie, aber keinen Fortschritt für die Umwelt, argumentiert die Organisation. Tatsächlich ist der bürokratische Aufwand für die Bauern überschaubar. Der Nationale Normenkontrollrat hat errechnet, dass die Unternehmen 4,8 bis 5,3 Stunden für die Aufstellung der Bilanz aufwenden müssten – pro Jahr.

Die anderen Regeln würden nicht reichen, um die Überdüngung genügend zu reduzieren, sagt der Kieler Agrarprofessor Friedhelm Taube, der sich seit Jahren mit dem Thema befasst. Denn sie würden oft höhere Düngermengen erlauben, als für die Pflanzen nötig. Außerdem seien diese Regeln zu „manipulationsanfällig“. Manche Landwirte haben ein Interesse an Überdüngung, weil sie so beispielsweise die großen Mengen Gülle aus Schweineställen auf dem Feld entsorgen können. Taube plädiert deshalb dafür, die Stoffstrombilanzverordnung zu verbessern statt sie aufzuheben. Die deutsche Umwelthilfe springt Taube bei: „Ohne eine wirksame Stoffstrombilanz können die Verursacherinnen und Verursacher für Belastungen nicht ermittelt werden und die Grenzwerteinhaltung wird somit noch unwahrscheinlicher.“

Ob Rainer die Stoffstrombilanz per Verordnung überhaupt abschaffen kann, ist umstritten. Die Umwelthilfe meint: Nein, das Verfahren „hätte aller Voraussicht nach bei einer rechtlichen Prüfung keinen Bestand.“ Tatsächlich steht im Düngegesetz nur, dass das Agrarministerium die genauen Vorschriften über die Stoffstrombilanz mit Zustimmung von Bundestag, Bundesrat und Umweltministerium „erlässt“. Dort steht nicht, dass es die Vorschriften aufheben darf – schon gar nicht ohne das Parlament. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe sagt deshalb: „Wir werden alle rechtlichen Mittel prüfen“.

Das Agrarministerium dagegen schreibt der taz, sowohl Justiz- als auch Innenministerium hätten bestätigt, dass aus ihrer Sicht weder die Zustimmung des Bundesrats noch die Beteiligung des Bundestags erforderlich sei. Das Umweltministerium bekannte sich zu der Vereinbarung im Koalitionsvertrag.

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