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■ Über einen Haushaltsgegenstand DuchampsFlaschentrockner

Als 1914 ein weitgehend unbekannter Maler im Pariser Kaufhaus Bazar de l' Hôtel de Ville einen gewöhnlichen Haushaltsgegenstand kaufte, stellte er damit das erste Kunstwerk her, daß allein durch den Kaufakt entstand. In einem Brief vom Januar 1916 schrieb Marcel Duchamp an seine Schwester: „Nimm diesen Flaschenständer an dich. Ich mache daraus ein Ready-made aus der Ferne.“

Die Folgen sind bekannt. Obwohl es nicht weniger als 22 Jahre dauerte, bis der Flaschentrockner in der Ausstellung „Surréaliste d'Objets“ 1936 öffentlich gezeigt wurde. Im gleichen Jahr fotografierte auch Man Ray das stachelige Ding. Der originale Trockner war zu diesem Zeitpunkt übrigens schon längst verschollen, aber praktischerweise konnte ihn Duchamp ja jederzeit wieder kaufen. In den sechziger Jahren schaffte und lizensierte Duchamp weitere Nachbildungen des Objekts – und ärgerte sich, daß das Ding inzwischen „viel zu gut ausschaut“, wie er sagte.

Der Flaschentrockner kam jedenfalls ins Gerede, oder, anders gesagt, er provozierte einen Diskurs. International wurde sprachlich und mit Mitteln der bildenden Kunst auf das Haus-

haltsgerät reagiert. Rund 400 der bunt durcheinandergehenden, einander widersprechenden und teilweise auch fingierten Wortmeldungen zum Porte- bouteilles hat nun Eric Erfurth in einer Doxographie versammelt. Etwa Werner Haftmanns Diktum, der Flaschentrockner Duchamps wäre das „Große Reale“ der Kunst der Moderne, so wie Malewitschs Schwarzes Quadrat das „Große Abstrakte“ sei, oder Hans Sedlmayrs Antwort, daß der Kauf eine Geste in der Randzone ist, „wo die Kunst aufgehört hat“.

„Diese Gegenstände sind von altmodischer Feinheit und Reinheit. Der Kamm oder das Urinal, der Kleiderhaken, der Kleiderständer, der Flaschenständer oder das Parfümfläschchen sind ordentliche, ansprechende und leicht handhabbare Gegenstände der persönlichen Pflege und des Anstandes – Gegenstände eines Gentlemans“, schrieb Kim Levin 1974. Wir werden in unregelmäßiger Folge weitere Diskurshäppchen servieren. BW

„Marcel Duchamp – Flaschentrockner“. Doxographie, hrsg. von Eric Erfurth. Logo Verlag, Obernburg am Main 1997, 224 Seiten, brosch., 42DM

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