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Über der Normalität

Am Montag liest die Essayistin und Lyrikerin Anne Duden im Literaturhaus  ■ Von Andreas Irde

Wer so schreibt, macht sich verdächtig und muss mit dem Schlimmsten rechnen – nur weil er schreibt. In England hat eine Statis-tik ergeben, dass 87 Prozent aller Dichter zumindest einmal in ihrem Leben mit irgendeiner Form von Geisteskrankheit zu tun bekommen. „Wer so schreibt“, stellt Anne Duden in Zungengewarsam vorsorglich klar, der schreibt „nicht über die Normalität, sondern über der Normalität.“ Anne Duden schreibt so. „Denn ich bin eine Terroristin und werde als solche gesucht und verfolgt nur deshalb, weil ich auf etwas gewartet und im Warten nicht nachgelassen, weil ich nicht aufgegeben habe.“ In der Textsammlung Zungengewahrsam erklärt Anne Duden sich selbst und ihr Schreiben, beschreibt ihre Arbeit als „Gewaltakt“. Die in London und Berlin lebende Schriftstellerin versucht, der Sprachlosigkeit eine Stimme zu geben: „Redlich sprachlos, so fängt es an, so fängt alles an.“

Duden, Jahrgang 1942, kam relativ spät zum Schreiben. Die Mitbegründerin des Rotuch-Verlages legte 1982 mit Übergang ihr Debüt vor. Der Titel dieser Sammlung von Prosatexten ist durchaus programmatisch. Sie selbst brachte ihn verschiedentlich mit der Flucht ihrer Familie aus der DDR nach Westdeutschland in einen Kontext. Die Titelgeschichte „Übergang“ indessen markiert kaum weniger als die Urszene einer Schreibexistenz. Anne Duden schildert darin den brutalen Überfall amerikanischer GIs auf Besucher einer Berliner Diskothek. Eines der Opfer ist Anne Duden selbst, mit schweren Gesichtsverletzungen wird sie in ein Krankenhaus eingeliefert. Diese Erfahrung der körperlichen Antastbarkeit scheint sich in ihrem Werk niederzuschlagen, scheint die Gewaltigkeit ihrer Wortfindungen nachhaltig zu prägen, der Empörung ein angemessenes Gegengewicht zu verleihen.

Ob in den ersten Prosaveröffentlichungen, Gedichtbänden wie Steinschlag (1993) und Hingegend (1999) oder kulturkritischen Essays – Anne Duden erweist sich nachgerade als passionierte „Kultur-Archäologin“, wie es kürzlich Anne-Kathrin Reulecke in ihrer Laudatio anlässlich der Verleihung des Hans-Reimer-Preises an Duden auf den Punkt brachte. Duden wühlt und gräbt, bis sie zu Tage fördert, was sie vielleicht gar nicht gesucht hat. Dabei ist das offen Sichtbare nicht immer auch das Offensichtliche. Auf dem Cover von Zungengewahrsam sieht man eine seltsam anmutende Maske, ein fremdes Gesicht. Es ist ein sogenannter „Green Man“, den man in dieser Form an gotischen Kathedralen entdecken kann. Aus Mund und Ohren des kauzig-dämonischen Antlitzes sprießen wild Pflanzentriebe und lassen die Figur gleichsam eins werden mit der Vegetation. Anne Duden hat dieses leicht zu übersehende architektonische Detail in Zungengewahrsam vom Wahrnehmungsrand in den Mittelpunkt gerückt. Sie deutet es als Symbol für die menschliche Furcht, die Natur könne sich dereinst zurück holen, was ihr im Zivilisationsprozess entrissen wurde. Und so wie der Green Man steht für „die große Wunde, die man der Natur geschlagen hat“, holt Anne Duden zurück, was der Sprache auf oft schmerzhafte Weise entrissen wurde. Mit dem „Gewaltakt“, den sie dazu beschwört, besetzt sie keine Zwischenräume und Nischen. Sie baut Kathedralen.

Montag, 20 Uhr, Literaturhaus; Anne Duden: „Zungengewahrsam“. Kleine Schriften zur Poetik, 122 Seiten, 38 Mark, „Hingegend“. Gedichte, 46 Seiten, 28 Mark, beide Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999

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