USA: Irak für Bush wie Vietnam
Der US-Rückzug aus Südostasien habe zu Millionen Toten geführt, behauptet Präsident Bush. Deshalb müssten die USA im Irak bleiben. Historiker sind empört.
Die US-Kriegsveteranen applaudierten ihrem Präsidenten verhalten, aber sie applaudierten, als George W. Bush am Mittwochabend eine neue Irakoffensive einläutete. Leitartikler und etliche Historiker schäumten gestern über seinen Vietnamkriegsvergleich als Verwechslung von Ursache und Wirkung: Nicht den Rückzug der US-Truppen aus Südostasien 1975 hätten "Millionen unschuldiger Menschen" mit dem Leben bezahlt, wie Bush in seiner Rede vor Kriegsveteranen in Kansas City meinte. Vielmehr sei die ideologisch verblendete US-Einmischung in Vietnam Ursache für die Destabilisierung der ganzen Region und Millionen Tote gewesen, meinte der Historiker Robert Dallek.
Auf allen Kanälen und in beiden Parteien der USA wird nun die "Dolchstoßlegende" diskutiert, die Bush in seiner Rede in die Welt setzte, ohne sie explizit so zu nennen: "Unsere Truppen sehen diesen Fortschritt am Boden", sagte er zur Lage im Irak. "Und während sie dem Feind die Initiative entreißen, haben sie eine Frage: Werden ihre gewählten Führer in Washington ihnen den Boden unter den Füßen wegreißen, gerade in dem Moment, wo sich die Dynamik im Irak ändert?" Er fügte hinzu: "Die Frage, vor der wir jetzt stehen, lautet im Kern: Wird die heutige Generation von Amerikanern dem trügerischen Reiz eines Rückzugs widerstehen, und werden wir im Mittleren Osten tun, was die Veteranen in diesem Raum hier in Asien getan haben?" In einer direkten Analogie zum US-Rückzug aus Vietnam sagte er schließlich: "Ein Erbe Vietnams ist, dass der Preis von Amerikas Rückzug von Millionen unschuldigen Bürgern bezahlt wurde, deren Leid unserem Wortschatz neue Begriffe wie Boat-People und Killing-Fields hinzufügte."
Die oppositionellen Demokraten wiesen den Vietnamvergleich zurück. Ihr ehemaliger Präsidentschaftskandidat John Kerry, der 2004 gegen Bush verlor, sagte: "Sich auf die Tragödie Vietnams zu berufen, um die gescheiterte Politik in Irak zu verteidigen, ist so unverantwortlich, wie es die Realitäten beider Kriege ignoriert." Die führende Kandidatin für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, Senatorin Hillary Rodham Clinton, forderte prompt einen anderen Rückzug - den des irakischen Premiers Nuri Kamal al-Maliki.
Bushs Vorstoß kommt, während die USA sich auf einen für Mitte September erwarteten Bericht des US-Oberkommandierenden im Irak vorbereiten. General David Petraeus soll darin die Wirkung der Bodenoffensive der um 20.000 Soldaten verstärkten US-Truppen in Bagdad evaluieren. Seit Wochen touren Abgeordnete des US-Parlaments durch den Irak, um sich rechtzeitig ein eigenes Bild der Lage zu machen. Sämtliche Republikaner, aber auch einige Demokraten berichten danach von größeren oder kleineren militärischen Erfolgen und einer mehr oder weniger deutlichen Verringerung der sektiererischen Gewalt in den Einsatzgebieten der verstärkten US-Einheiten. Seither konzentriert sich die Parteiführung der Demokraten auf den mangelnden politischen Fortschritt im Irak und begründet damit ihre gestern wiederholte Forderung, "Irak den Irakern" zu überlassen und die US-Truppen, die sowieso nichts ausrichten könnten, "schnellstmöglich" abzuziehen. Dagegen sagte Präsident Bush, der jüngst "ein gewisses Maß an Frustration" mit der irakischen Regierung äußerte, in seiner Rede am Mittwoch: "Premier Maliki ist ein guter Typ, ein guter Mann mit einem schwierigen Job. Ich unterstütze ihn."
Zugleich startete eine neue Interessengruppe reicher Bush-Anhänger, die sich "Freedoms Watch" nennt, eine 15-Millionen-Dollar-Kampagne. Einen Monat lang wollen Leute wie der Kasino-Besitzer Sheldon G. Adelson aus Las Vegas, laut Forbes-Liste der sechstreichste Mensch der Welt, den US-Bürgern vermitteln, "dass wir jetzt nicht zögern und weichen dürfen".
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