US-Senat verabschiedet Konjunkturpaket: Minimalistisches Flickwerk
Nach monatelanger Blockade haben sich Republikaner und Demokraten auf ein weiteres Corona-Hilfspaket geeinigt. Zuvor wurde es erheblich ausgedünnt.
Auch soll das landesweite Verbot von Wohnungsräumungen um einen Monat bis zum 31. Januar verlängert werden. Dazu soll es punktuelle Geldspritzen für Corona-Impfungen sowie Schulen geben und sollen Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen – wegen des hartnäckige Drängens von Bernie Sanders – einen zweiten Konjunkturscheck bekommen.
„Hilfe ist unterwegs“, pries am Sonntagabend der Chef des Senats, der Republikaner Mitch McConnel,l das Paket. Er hatte ein bereits im Mai von der Mehrheit im Repräsentantenhaus verabschiedetes, vielfach besser ausgestattetes Hilfspaket monatelang im Senat blockiert.
Die Billigvariante, der er jetzt zustimmte, halbiert viele staatliche Hilfsleistungen. Die Beihilfe zum Arbeitslosengeld soll nur noch 300 Dollar pro Woche statt bislang 600 betragen. Der einmalige Konjunkturscheck umfasst nur noch 600 Dollar, nachdem der im Frühling ausgezahlte erste, den Präsident Donald Trump als Wahlkampfargument für sich benutzt hatte, doppelt so hoch war.
„Viel weniger, als wir brauchen“
Bevor die Republikaner*innen dem Paket am Sonntag zustimmten, dünnten sie es bis zur Unkenntlichkeit aus. So lehnten sie es ab, die Bundesstaaten und die Kommunen finanziell zu unterstützen. Die langanhaltenden Steuerausfälle haben schon jetzt vielerorts zu Schließungen von Bibliotheken und Kulturzentren sowie zu Entlassungen in Krankenhäusern und im öffentlichen Dienst geführt.
Die Republikaner*innen sorgten auch dafür, dass Unternehmen vor Klagen von Corona-Opfern geschützt sind – zum Beispiel von Beschäftigten, die sich wegen mangelnder Schutzvorkehrungen mit Corona infiziert haben. In einer anderen freundlichen Geste an ihre unternehmerische Klientel sorgten die Republikaner*innen dafür, dass Dienstessen in dem Paket steuerbegünstigt werden.
„Hilfe für wen?“, fragte die Linke Rashida Tlaib bitter. Die Abgeordnete der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus fügte hinzu: „Wie sollen Millionen von Zwangsräumung bedrohte Arbeitslose, die an Suppenküchen für Essen anstehen, von 600 Dollar leben?“
Sie ist eine von vielen Demokrat*innen, die keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung machen. Aus Missouri kommentierte die erst im November gewählte neue Abgeordnete Cori Bush kurz und bitter: „600 ist nicht genug.“ Aus Kalifornien beschrieb der Abgeordnete Ro Khanna den Kompromiss als „viel weniger, als wir brauchen“.
Anstieg von Armut und Arbeitslosigkeit
Nachdem das erste Konjunkturpaket vom März den ersten ökonomischen Schock der Pandemie abgefedert hatte, ist die Armut in den USA mit dem Ausbleiben neuer Hilfen seit Juni kontinuierlich gestiegen. Nach den Zahlen der Bundesregierung sind in den letzten sechs Monaten zusätzliche 8 Millionen Menschen unter die Grenze von 26.000 Dollar für eine vierköpfige Familie gefallen. Damit sind nach offiziellen Zahlen mehr als 12 Prozent der Bevölkerung arm. Fachleute schätzen, dass die tatsächliche Armutsziffer bei über 20 Prozent liegt.
In den letzten Wochen hat sich auch die Zunahmen der Arbeitslosigkeit wieder beschleunigt. Allein in der zurückliegenden Woche meldeten sich weitere 0,8 Millionen neue Arbeitslose bei den Arbeitsämtern. Angesichts der rasanten Ausbreitung des Virus im Land wird dieser Anstieg weitergehen.
Die USA sind das weltweit zahlenmäßig am stärksten von Corona betroffene Land. Bislang sind mehr als 316.000 Menschen in den USA an dem Virus gestorben, knapp 18 Millionen Menschen haben sich nachgewiesenermaßen infiziert. Dieser Dezember Monat ist der bislang tödlichste der Pandemie. Täglich sterben mehr als 3.000 Menschen an dem Virus.
Drei Wochen nach den Thanksgiving-Feiern sind die Intensivstationen vieler Krankenhäuser überfüllt. Diese Weihnachtswoche, in der trotz der Mahnungen von Gesundheitsexpert*innen und Politiker*innen wieder Millionen Menschen unterwegs sind, wird voraussichtlich ein neuerliches „Super-Spreader-Ereignis“ werden.
Angesichts der Verarmung von Millionen und der grassierenden Krise, aber auch weil die allerletzten Leistungen aus dem ersten Hilfspaket am 31. Dezember auslaufen, sahen die Demokrat*innen keine andere Möglichkeit, als dem Billig-Hilfspaket zuzustimmen.
Schon bald braucht es neue Hilfen
Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, und Chuck Schumer, der Chef der Fraktion der Demokrat.innen im Senat, priesen am Sonntag die Zugeständnisse, die sie den Republikaner*innen abgerungen haben – darunter Nahrungsmittelhilfen und Mietbeihilfen.
Bevor das Hilfspaket in Kraft tritt, stehen ihm noch drei Hürden in Washington bevor. Beide Kammern des Kongress müssen zustimmen und Präsident Trump muss unterschreiben. Selbst wenn das in dieser Woche klappt, bleibt das Paket ein minimalistisches Flickwerk. Die Hilfsmaßnahmen sind zeitlich so begrenzt, dass Joe Biden, der am 20. Januar in Weiße Haus einzieht, unmittelbar danach neue Hilfsmaßnahmen ergreifen muss.
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