US-Sänger Ben Harper: Der Hausmeister des Blues
In seinem neuen Album „Bloodline Maintenance“ verarbeitet Ben Harper seine Familiengeschichte. Er spielt mit den Genres Rock, Gospel, Soul und Disco.
Das klingt nach einer spannenden Thematik: die eigene Familiengeschichte als Sujet eines Konzeptalbums. Ben Harper hat diese Idee schon einmal 2014 verfolgt, als er gemeinsam mit seiner Mutter Ellen Songs komponierte. Ellen Chase wuchs im Nordosten von Los Angeles in Claremont auf. Inmitten von Banjos, Gitarren und Sitars führten Ellens Eltern das „Folk Music Center“, eine stadtbekannte Musikalienhandlung. Blues- und Folklegenden wie Brownie McGhee und John Fahey waren Stammgäste, während der 1969 geborene Enkel Ben im Laden umherkrabbelte.
Als Kind wurde Ben von seinem Großvater auf eine Weissenborn-Steelguitar aufmerksam gemacht, Instrument der Wahl vieler Country-Stars. Im Erwachsenenalter ist Ben Harper in den Neunzigern dann selbst zu einem in den USA und Europa gefeierten Gitarristen und Sänger geworden, der mit manchmal auch etwas anstrengender Ernsthaftigkeit auf den Spuren von Bob Marley und John Lee Hooker gewandelt ist und sich auch als Produzent versuchte. Drei Grammys und inzwischen 15 Alben sprechen für sich. Bei aller Power geriet Harpers Musik mit seiner Band Innocent Criminals bisweilen auch zu muckerhaft, weil Musik und Texte zu sehr um Authentizität bemüht waren.
Der Bandleader veröffentlichte seit den nuller Jahren jedoch etliche, musikalisch entschlackte Alben: zwei mit Mundharmonika-Koryphäe Charlie Musselwhite, eines mit den Gospelveteranen Blind Boys of Alabama, dazu lieferte Harper überzeugende Produktionsarbeiten für die Soul-Queen Mavis Staples.
Am besten sind die akustischen Solo-Alben. Das instrumentale „Winter is for Lovers“ und das rein akustische „Childhood Home“ mit Mutter Ellen Chase beweisen die Songwritingqualitäten von Ben Harper abseits aller elektrifizierten Wucht.
Die Familiensaga geht weiter
Und nun also: „Bloodline Maintenance“, eine Fortführung der 2014 begonnenen Familiensaga, mit Fokus auf den Vater. Leider wird der 1998 verstorbene Leonard Harper in den Songs nicht so prominent verkörpert wie auf dem Foto des Albumfrontcovers, das Ben Harper im Windelalter zeigt, wie er den in einem Sessel fläzenden Vater am Arm zieht. Skeptischer Blick bei beiden, die Beziehung war schwierig. Leonard hatte zeitlebens Alkoholprobleme. In einem Interview vergleicht Ben Harper seinen Vater als Mischung aus dem linken Theologen Cornel West, dem Komiker Richard Pryor und einem stadtbekannten Säufer – „aber einer, der Schönschrift beherrschte“. Konkreter wird es in den Songs kaum.
Immerhin verdeutlicht die Musik den musikalischen Einfluss des Alten: Leonard spielte seinem Sohn schon im Kindergartenalter Stevie Wonder vor. Das aus dessen Hit „Superstition“ bekannte Clavinetmotiv blubbert nun in Ben Harpers Funk-Stomper „Need to Know Basis“ weiter.
Die Geister von Hendrix
Der Albumtitel „Bloodline Maintenance“ lässt sich frei mit „Instandsetzung von Tradition“ übersetzen. Das hat Harper natürlich immer getan, im Folk Music Center traf er als Kind auf Jackson Browne, seine erste Tour bestritt er im Alter von 21 Jahren mit Blueslegende Taj Mahal. Der Blues und seine Subgenres dominiert auch den Sound des neuen Werks: Neben einigen etwas zu seichten Gospel-Balladen gefallen die schlichten Riff-Rocker. Fast alle Stücke dauern weniger als dreieinhalb Minuten und von der Kürze profitiert „Bloodline Maintenance“ sehr.
Wieder ist es ein Soloalbum geworden, allerdings eines, das nach Bandmusik klingt: Harper hat auch gleich Drums, Bass und Keyboards im Alleingang eingespielt – und natürlich die Steelguitar. Für mehrere Stücke hat er sie durch einen sündhaft teuren Verstärker gejagt, ein Effekt, dem Harper zuschreibt, von „mehr als nur ein paar Geistern von Hendrix“ beeinflusst zu sein.
Wohlfeile Anklagen
Dass Ben Harper das Zeug zu Großtaten hat, zeigt zum einen der Song „Where Did We Go Wrong“, ein Poptrack mit subtilen Disco-Einflüssen. Hier passt auch seine leicht weinerliche Stimme perfekt als Kontrast zum Groove der Congas. Zum anderen ist da „Problem Child“: deeper Gospelsound, gebrochen durch ein Jazz-Saxofon und HipHop-Scratching. „Whoever said time heals all wounds / Wasn’t a slave I’m guessing“, zetert Harper in „We Need to Talk about It“.
Ben Harper: „Bloodline Maintenance“ (Chrysalis Records/PIAS).
Im Songtext behandelt er die immer noch kaum aufgearbeitete Sklaverei-Geschichte der USA, kommt aber über wohlfeile Anklagen nicht hinaus. Ben Harpers karitatives Engagement und seine Spenden an Hilfsorganisationen werden deutlich mehr ausrichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin