US-Präsident Joe Biden in Nordirland: Besuch von gestern

US-Präsident Biden steht für ein Irland, das es heute glücklicherweise nicht mehr gibt. Glauben und Politik gehören für ihn zusammen.

Jugendliche bewerfen ein Polizeifahrzeug mit Molotowcocktails

Protest in Derry gegen das irischen Friedensabkommen vor dem Besuch des US-Präsidenten Biden Foto: Clodagh Kilcoyne/reuters

Es ist eine Art Tradition: Am Ostermontag, dem Jahrestag des Osteraufstands von 1916, der schließlich zur Unabhängigkeit Irlands führte, finden in Nordirland Unruhen statt. Diesmal waren sie klein und auf Derry, die zweitgrößte Stadt, beschränkt. Das ist kein Zufall: Derry ist seit einem Jahrhundert von den protestantisch-unionistischen Regierungen systematisch benachteiligt worden, weil die Katholiken dort von Anfang an in der Mehrheit waren.

Daran hat sich seit der Unterzeichnung des Belfaster Abkommens vor 25 Jahren nichts geändert. Politiker und Politikerinnen in beiden Teilen Irlands beklagen, dass die Ausschreitungen den Besuch des US-Präsidenten Joe Biden zur Feier des Abkommens überschatten. Irlands Handelsminister Simon Coveney beschuldigte „die kleine Minderheit von Strolchen“, sie wolle Nordirland zurück in die Vergangenheit katapultieren.

Tatsächlich ist es Biden, der für diese Vergangenheit steht. Irland fühlt sich geschmeichelt, dass der Präsident einer Weltmacht ständig erklärt, er sei Ire. Doch Biden verkörpert ein Irland, das es zum Glück nicht mehr gibt. Für ihn gehören Glaube und Politik zusammen, er fühlt sich als irischer Katholik. Biden ist erst der zweite katholische US-Präsident mit irischen Wurzeln, der die Heimat seiner Vorfahren besucht. Der erste kam vor 60 Jahren.

Es war John F. Kennedy, der damals den Traum von einer Zukunft für Irland repräsentierte. Biden hingegen ist eine Begegnung mit Irlands Vergangenheit. So schrieb Bidens Schwester Valerie in ihren Memoiren, dass ihre Familie immer und an erster Stelle im irischen Katholizismus der Arbeiterklasse verwurzelt gewesen sei, was sie selbst sehr prägte.

Genau aus dieser Fusion von Katholizismus mit irischer Identität ist aber der repressive Staat erwachsen, aus dem man sich erst langsam in diesem Jahrtausend befreit hat. Biden soll sich an der Vision von irischem Katholizismus als politische Identität so lange erfreuen, wie es ihm gut tut. Doch in den zwei Teilen Irlands lebt die schmerzliche Erinnerung an die Konsequenzen dieser Haltung bis heute fort.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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