US-Netzdebatte über Wikileaks: "Gebt ihnen Clintons Skalp"
Für die US-Regierung sind die Wikileaks-Enthülllungen ein diplomatischer Alptraum. Im Netz werden die Folgen für die US-Politik kontrovers diskutiert.
Nachdem nichts mehr aufzuhalten war, versuchte das Weiße Haus in den Stunden und Tagen nach den durch Wikileaks enthüllten diplomatischen Depeschen zu beschwichtigen - und zurückzuschießen. Der offizielle Sprachduktus lautet: Es war ein Angriff auf Amerika und die internationalen Beziehungen.
Surft man durch die amerikanische Netzwelt zeigt sich: Der offizielle Sprachduktus interessiert nicht. Hier wird vor allen Dingen debattiert, welche Folgen die Dokumente auf die amerikanische Politik haben. Für Thomas P.M. Barnett von den "Politics blogs" des Esquire gibt es wenige Erkenntnisse aus den Dokumenten, aber eine entscheidende: "Die sehr undiplomatischen Depeschen zeigen, wie wenig Obama sich von der Bush-Doktrin entfernt hat."
Ganz anders bewertet Ben Smith die Enthüllung in seinem Blog auf politico.com. Für ihn ist jetzt Obamas konstantes Bemühen, seit dem Beginn seiner Präsidentschaft die Beziehungen der USA mit Verbündeten wieder zu verbessern, eine Vorteil. "Seine internationale Popularität wird sich auszahlen", so Smith. Bei seinem Vorgänger George W. Bush hätten die Veröffentlichungen zu weit mehr diplomatischen Verwerfungen geführt, ist sich Smith sicher. Bush war bekanntermaßen international alles andere als populär.
Fred Kaplan kann der Veröffentlichung ebenfalls etwas Positives für den US-Präsidenten abgewinnen. "Konservative Kritiker haben Barack Obama als einen Naivling in internationalen Fragen beschrieben", schreibt Kaplan auf slate.com. Doch die Dokumente würden zeigen, dass die USA innerhalb des immer kleiner werdenden Bereichs, in dem sie auf andere Länder Einfluss nehmen können, ein ziemlich gutes Spiel gemacht hätten.
Ebenfalls auf slate.com lässt sich Jack Shafer darüber aus, warum Hillary Clinton als US-Außenministerin durch den Skandal untragbar geworden sei. Clinton selbst übt sich seit den Veröffentlichungen in Schadensbegrenzung. Am Tag eins nach der Veröffentlichung der Depeschen nannte Clinton diese einen "Angriff auf Amerika" und die internationale Gemeinschaft. Für Shafer reicht das nicht. Clinton sei vielmehr keine effektive Verhandlungspartnerin mehr, da viele Diplomaten ihr nicht verzeihen würden. "In der Diplomatie geht es um Vertrauen. Der einzige Weg, das Vertrauen der anderen Länder zu erhalten wird es sein, ihnen Clintons Skalp zu geben."
Das würde wohl auch dem konservativen Lager in Amerika gefallen. Doch rechte Blogger und Berichterstatter werten die veröffentlichten Depeschen überraschenderweise nicht als einen gern gesehenen Schlag gegen den demokratischen Präsidenten Obama, sondern als Generalangriff auf die USA.
"Allahpundit" schreibt auf Hotair: "Wikileaks versucht, das amerikanische Blatt zu schwächen, indem es einige Karten offenlegt." Die Enthüllungen seien nichts als der Ausdruck eines unbändigen Amerikahasses, bestätigen sich die Rechten des Landes gegenseitig und zitieren dabei zuhauf ihre ganz persönliche Ikone Sarah Palin, die den Wikileaks-Gründer Julian Assange in einem Facebook-Post als "anti-amerikanischen Agenten mit Blut an den Händen" bezeichnet.
Damit nicht genug, wird auf theblaze.com genüsslich wiedergegeben, was der konservative Kolumnist Charles Krauthammer im Fernsehen vorgeschlagen hat: Die amerikanische Regierung solle die Journalisten strafrechtlich verfolgen, die mit Wikileaks kollaboriert haben. Was die User des Blogs begeistert aufnehmen, so auch "Truthtalker", der "Warhheitssprecher": "Charles ist der intelligenteste Mann im Raum."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“