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US-Grenzkontrolle bei El PasoDer Traum vom besseren Leben

Die Grenze von Mexiko zu den Vereinigten Staaten ist seit Beginn der Coronapandemie geschlossen. Dennoch suchen Zehntausende Menschen in den USA eine neue Heimat.

Die Menschen begeben sich auf die beschwerliche Reise in Richtung USA; El Paso, 11. Mai Foto: Jose Luis Gonzales/reuters

El Paso taz | „Es ist oft traurig und herzzerreißend“, sagt US-Border-Patrol-Agentin Valeria Morales über den nicht abreißenden Strom von Mi­gran­t*in­nen an der Grenze von Mexiko zu den USA. „Leider erleben wir dies fast tagtäglich. Es ist nun einmal Teil unserer Arbeit. Und dazu gehört nicht nur der Schutz der Grenze, sondern auch jeden Menschen mit Würde zu behandeln.“

Morales ist eine von mehr als 2.000 Grenzschützer*innen, die im El-Paso-Sektor tätig sind. Die im Westen von Texas gelegene Stadt liegt direkt an der Grenze. Zusammen mit dem mexikanischen Ciudad Juárez am anderen Ufer des Rio Grande bilden beide Städte eine Metropolregion mit zusammen mehr als 2,7 Millionen Einwohnern.

Die US-Grenzschutzbehörde hat die mehr als 3.000 Kilometer lange Südgrenze des Landes in neun Abschnitte unterteilt. Der El-Paso-Sektor gehört mit zu den Abschnitten, in denen besonders viele illegale Grenzübertretungen registriert werden. Zwischen Oktober 2020 und Mai 2021 waren es dort mehr als 113.000. Dies entspricht einem Anstieg von mehr als 267 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Entlang der gesamten Grenze stieg die Zahl der Aufgegriffenen sogar um mehr als 291 Prozent auf über 897.000 an.

Jeden Tag verlassen Hunderte von Menschen aus Mittel- und Südamerika ihre Heimat und begeben sich auf eine ungewisse Reise. Ihr Ziel sind die USA. Für die Regierung von US-Präsident Joe Biden ist es eines der größten innenpolitischen Probleme. Für die Menschen, die sich oft aus schierer Verzweiflung auf die beschwerliche Reise begeben, ist es der Traum eines besseren Lebens in den Vereinigten Staaten.

20.000 Männer und Frauen überwachen die Grenze

Dieser Traum ist jedoch oft schnell ausgeträumt. Das gilt selbst für diejenigen, die es tatsächlich bis zur Südgrenze der USA schaffen. Diese Grenze ist jedoch seit Beginn der Coronapandemie geschlossen. Wer keinen dringenden Grund für eine Einreise in die USA vorweisen kann, wird abgewiesen.

Asyl­be­wer­be­r*in­nen mussten bis Juni in Mexiko ausharren, bis die US-Behörden eine Entscheidung über ihren Antrag gefällt hatten. Die einzige Ausnahme zu dieser von Ex-Präsident Donald Trump erlassen Regelung waren Minderjährige, die ohne Begleitung versuchten, in die USA zu gelangen. Diese wurden in US-Grenzeinrichtungen oder temporären Auffanglagern untergebracht.

Hungersnöte sowie Verunsicherung und Gewalt sind treibende Kräfte

Ricardo Barragan, Border Patrol Agent, über die Ursachen für die Migration aus dem Süden in die Vereinigten Staaten

Für US-Grenz­schüt­ze­r*in­nen stellt die aktuelle Situation eine große Herausforderung dar. Die Aufgabe der Behörde ist zwar klar definiert – Grenzsicherung zum Schutz der US-Bevölkerung. Doch die Einzelschicksale der Menschen aus Süd- und Mittelamerika lassen auch die mehr als 20.000 uniformierten Männer und Frauen der US-Grenzschutzbehörde CBP (Custom and Border Protection) nicht immer kalt.

Bereits im März warnte US-Heimatschutzsekretär Alejandro Mayorkas davor, dass die Zahl von Begegnungen zwischen Mi­gran­t*­in­nen und US-Border-Agenten*innen an der Südgrenze einen Wert erreichen könnte, den es seit 20 Jahren nicht mehr gegeben hat.

Die Gründe sind vielfältig, doch wie Border Patrol Agent Ricardo Barragan in El Paso erklärt, tragen die sich verschlechternden Zustände in den Herkunftsländern der Mi­gran­t*­in­nen ihren Teil dazu bei. „Hungersnöte sowie Verunsicherung und Gewalt sind treibende Kräfte“, sagt er.

Auch kriminelle Organisationen, Drogenkartelle und Schmugglernetzwerke tragen laut Grenzschutzbehörde maßgeblich zur akuten Situation bei. „Für die ist es nicht mehr als eine weitere Einnahmequelle“, sagt Barragen, der wie Morales bei sengender Hitze in der für Grenzschutzbeamte üblichen grünen Uniform erscheint. „Kriminelle Organisationen wie Drogenkartelle haben begriffen, wie lukrativ der Menschenschmuggel sein kann. Bei manchen stellt sich mittlerweile die Frage, ob sie mehr Geld mit Drogen- oder Menschenschmuggel verdienen.“

Ein Fall, der in diesem Jahr für Aufsehen sorgte, ereignete sich in der Nähe des Grenzübergangs Santa Teresa im US-Bundesstaat New Mexico. Die etwas mehr als 20 Kilometer nordöstlich von El Paso gelegene Kleinstadt befindet sich in einem kargen Wüstengebiet.

Genau dort wurden zwei junge ecuadorianische Mädchen im Alter von drei und fünf Jahren mitten in der Nacht von Schmugg­ler*­in­nen über die mehr als vier Meter hohe Grenzbefestigung gehoben und dann einfach fallen gelassen. In der Nacht wimmelt es dort von Kojoten und Klapperschlangen. Auch wenn die nächste Ortschaft Sunland Park nur etwas mehr als einen Kilometer entfernt liegt, kann dies für zwei kleine Kinder in der Dunkelheit ein todbringendes Hindernis darstellen. Glücklicherweise wurden die beiden Mädchen wenig später unverletzt von US-Grenz­schüt­ze­r*in­nen aufgefunden.

„Die meisten unserer Agenten sind selbst Eltern“, sagt Morales. „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie meine Kollegen weinende Babys versorgen und ihnen sogar die Windeln gewechselt haben. Wir versuchen alles, um sicherzustellen, dass diese Kinder bestmöglich versorgt werden“.

Kinder und Jugendliche in Auffanglagern

Dass das Wohl der Kinder allerdings nicht immer oberste Priorität genießt, zeigte sich vor vier Jahren. „Kinder und Jugendliche in Käfigen“ lauteten damals die Schlagzeilen, nach dem Bilder veröffentlicht wurden, die die teils desaströsen Zustände in den Grenzeinrichtungen und Auffanglagern zeigten. Ex-Präsident Trump verschlimmerte mit seiner „Null Toleranz“-Migrationspolitik eine Situation, die sich schon vor dessen Regierungszeit zugespitzt hatte.

Unter Joe Biden hat sich die Lage für minderjährige Mi­gran­t*­in­nen zwar verbessert, doch noch immer müssen viele von ihnen Tage und Wochen in schlecht ausgestatteten Unterkünften verbringen, bevor die US-Behörden einen Beschluss über Verbleib oder Abschiebung fällen.

„Wir haben in den letzten fünf Monaten Fortschritte gemacht, doch es gibt noch immer viel Arbeit“, sagte US-Vizepräsidentin Kamala Harris am Rande eines Besuchs von Grenzeinrichtungen in El Paso im vergangenen Monat. Die ehemalige kalifornische Senatorin wurde von Joe Biden damit beauftragt, die Grenzsituation zu verbessern und die Ursachen für den nicht abreißenden Strom von Mi­gran­t*­in­nen zu bekämpfen.

Die Zahl der Aufgriffe von Minderjährigen ohne Begleitung hat sich zwischen Oktober und Mai um mehr als 297 Prozent auf mehr als 78.500 erhöht. Im El-Paso-Sektor waren es im gleichen Zeitraum mehr als 13.600 und damit fast so viele wie im gesamten Haushaltsjahr 2019.

Drogenschmuggel über die Grenze

Neben den rein monetären Aspekten – Mi­gran­t*­in­nen zahlen Schmugglern oftmals mehrere tausend US-Dollar – ziehen Drogenkartelle auch andere Vorteile aus dem Ansturm von Migrant*innen. „Kriminelle Organisationen nutzen vor allem Minderjährige als taktisches Manöver“, sagt Grenzschutzbeamtin Morales. „Sie wissen, dass die Rettung von Kindern und auch Erwachsenen absolute Priorität für uns hat. Aus diesem Grund versuchen sie unsere Agenten mit humanitären Notfällen in einem Bereich zu binden, um gleichzeitig an einem anderen Ort Drogen und andere Betäubungsmittel ins Land zu schmuggeln. Es ist eine sehr finstere Taktik.“

Die Menge an sichergestellten Drogen war über die vergangene Zeit hinweg ziemlich stabil und beläuft sich auf mehr als 400.000 Kilogramm pro Jahr. Auch in diesem Jahr scheint sich dieser Trend fortzusetzen. Laut Border-Protection-Pressesprecher Landon Hutchens geschieht es auch, dass Minderjährige als Drogenkuriere missbraucht werden, da das Strafmaß für diese weitaus geringer ist als für Erwachsene.

Und dann sind da noch die vielen Rettungsaktionen und die Todesfällen, die den Alltag an der Grenze prägen. Allein im Mai verzeichnete die Grenzschutzbehörde mehr 7.000 Rettungsaktionen. Im El-Paso-Sektor gehören Rettungen aus dem Grenzfluss Rio Grande oder Notsituationen in der Wüste zum Berufsalltag der CBP-Agenten. Schmugg­le­r*in­nen versuchen mit selbst gebauten Leitern aus Draht und Holz oder mithilfe einfacher Seile, die bis zu acht Meter hohe Grenzbefestigung zu überwinden. Verletzungen durch Stürze kommen dabei immer wieder vor.

Für andere endet der Traum vom Leben in den USA mit dem Tod. Im Juni fanden US-Border-Agenten*innen im El-Paso-Sektor die Leiche eines Migranten. Die Person starb nur knapp eine Meile von der Grenze entfernt vermutlich an einem Hitzschlag. Im Jahr 2019 starben insgesamt 300 Menschen entlang der Grenze. Diese Zahl beinhaltet allerdings nur die von Grenz­schüt­zern*­in­nen aufgefundenen Opfer. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

Gemeinnützige Organisationen und Ak­ti­vis­t*­in­nen setzten sich entlang der Grenze für die Belange von Mi­gran­t*­in­nen ein. Die meisten dieser Organisationen sind auf finanzielle sowie Sachspenden angewiesen.

Am Ende bedarf es jedoch eines überarbeiteten Einwanderungsgesetzes, um die menschlichen Tragödien im Grenzgebiet zu verhindern, sagt Juan Ortiz, ein in El Paso geborener Aktivist, der sich besonders für minderjährige Mi­gran­t*­in­nen aus der Schwulen-, Lesben- und Trans-Szene einsetzt.

„Unsere Regierung hat Einwanderung kriminalisiert“, so Ortiz. „Ohne eine drakonische Einwanderungsreform wird sich an der aktuellen Situation leider nichts ändern.“ Die Regierung Biden plant eine Überarbeitung der US-Einwanderungsgesetze, doch ohne republikanische Unterstützung im Kongress stehen die Erfolgsaussichten schlecht.

„Ich glaube, die meisten Politiker in Washington habe keine Ahnung über die Situation hier an der Grenze“, sagt Melissa Lopez, die Direktorin einer religiösen Flüchtlingshilfe in El Paso.

Und dann sagt sie: „Ich höre immer dieselbe Frage: ‚Wie können Eltern ihren Kindern das antun?‘ Doch ich glaube, die eigentliche Frage sollte lauten, ‚Wie können sie es nicht tun?‘ Ein Kind, das nicht regelmäßig zu essen bekommt, welches das Haus nicht verlassen kann, weil es vielleicht entführt oder umgebracht werden könnte. Ein Kind, das aufgrund der hohen Gewalt im Land sein 18. Lebensjahr wahrscheinlich nicht erreichen wird. Unter diesen Umständen ist die Entscheidung, dass Kind alleine in die USA zu schicken, viel leichter, als sich die meisten das vorstellen können“.

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