US-Gericht über NSA-Überwachung: Wahrscheinlich verfassungswidrig
Eine „willkürliche Invasion“: Erstmals hat ein US-Richter die NSA-Ausspähpraxis als verfassungswidrig eingestuft. Nun könnten viele weitere Urteile folgen.
WASHINGTON taz | Ein Richter in den USA hat die massenhafte Ausspähung der NSA als „wahrscheinlich verfassungswidrig“ bezeichnet. In seinem Urteil vom Montagnachmittag (US-Zeit) nennt Bundesrichter Richard Leon die Erfassung von „Metadaten“ eine „wahllose“ und „willkürliche Invasion“ in das Privatleben der US-BürgerInnen.
Er sieht darin eine Verletzung des vierten Verfassungszusatzes, der die BürgerInnen vor Durchsuchungen und Beschlagnahmungen ohne richterliche Anordnung schützt. Er stellt zusätzlich fest, dass die Regierung keinen Nachweis geliefert habe, dass ihre Schnüffelei eine einzige bevorstehende Attacke verhindert habe.
Das Urteil des Bundesrichters ist der erste juristische Erfolg für GegnerInnen der NSA-Überwachung in den USA, tritt allerdings vorerst nicht in Kraft. Bundesrichter Leon will der US-Regierung Gelegenheit geben, in die erwartete Berufung zu gehen. Selbst wenn das Urteil in Kraft treten sollte, würde es nur die Kläger in dem konkreten Fall vor weiterer Ausspähung schützen.
Doch dieser erste Richterspruch gegen die Praxis der NSA könnte in den USA viele weitere Gerichtsentscheide nach sich ziehen. Mit dem Richterspruch steigt zudem die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Oberste Gericht der USA mit dem Thema befassen muss. Bislang hat das Oberste Gericht alle diesbezüglichen Versuche abgelehnt. Zuletzt wies es im vergangenen Monat dies mit einer Petition des Electronic Information Privacy Center zurück.
Snowden sieht sich bestätigt
Seit Juni liegen zahlreichen Gerichten in den USA Klagen gegen die NSA vor. Unter anderem klagen KundInnen des Telekommunikationsanbieters Verizon gegen ihre Ausspähung. Auch die Bürgerrechtsgruppe ACLU (American Civil Liberties Union) hat Klage eingereicht.
Der ehemalige NSA-Vertragsmitarbeiter Edward Snowden, der im Juni mit seinen Enthüllungen über die Arbeit des Auslandsgeheimdienstes begonnen hat, reagierte noch am Montag Abend aus Russland. „Das Urteil ist das erste von vielen zu erwartenden Gerichtsentscheiden“, schrieb der 30-jährige Flüchtling. Und fügte hinzu, dass das Urteil seine Veröffentlichungen über die NSA rechtfertige.
Das Weiße Haus gab keinen eigenen Kommentar ab, sondern versteckte sich hinter dem Justizministerium. Dieses wiederum wiederholt exakt die Argumente der NSA. Demnach ist die Erfassung von Metadaten durch 35 Entscheidungen von FISA-Gerichten autorisiert worden. Und sei: „legal“. Die FISA-Gerichte (Foreign Intelligence Surveillance Courts) sind mit der Überwachungspraxis der NSA betraut. Ihre Sitzungen unterliegen der Geheimhaltung.
Anwalt kommt von rechts
Der Mann, der den Bundesrichter eingeschaltet hat ist ein politisch weit rechts stehender Anwalt. Larry Klayman hat unter Präsident Ronald Reagan im US-Justizministerium gearbeitet und seither mehrfach versucht, selbst eine politische Karriere in der Republikanischen Partei zu machen. Die Klage „Klayman gegen Obama“ liegt seit Juni vor.
Zuvor hat Klayman als Anwalt verschiedene andere Klagen gegen die Obama-Regierung vertreten. Ein Klayman-Mandant aus Florida bestreitet, dass der Präsident ein gebürtiger US-Amerikaner ist. Andere Klayman-Mandanten sind Angehörige von Navy-Seals, die an der Tötung von Osama bin Laden beteiligt waren. Sie klagen gegen die US-Regierung, weil die sie mit er der Enthüllung ihrer Identität in Gefahr gebracht habe.
Bundesrichter Leon, der sich jetzt gegen eine Schnüffelpraxis der NSA stellt, die unter Ex-Präsident George W Bush eingeführt wurde, ist selbst von Bush in sein Amt befördert worden. Eine der ersten positiven Reaktionen auf sein Urteil kam von dem demokratischen Senator Mark Udall aus Colorado. Udall, einer der wenigen NSA-KritikerInnen im Kongress, möchte, dass die Abgeordneten die NSA dazu zwingen, sich „mit Terroristen und Spionen“ statt mit „unschuldigen Amerikanern“ zu befassen.
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