US-Film im Wettbewerb der Berlinale: Bäckerglück im Wilden Westen
Kelly Reichardts „First Cow“ ist ein ruhig erzählter Western über zwei Außenseiter. Er stellt genretypische Gewissheiten neu infrage.
Die Formen des Western sind inzwischen so oft revidiert worden, dass man schon fast nicht mehr weiß, was das sein soll: ein richtiger Western. Aber Kelly Reichardt gelingt in ihrer fünften Zusammenarbeit mit dem Autor Jonathan Raymond aus Portland doch noch mal eine Umkehr der Perspektive auf die Topoi „Wild West“, „Frontier“ und vor allem auf die Männer, die dort im 19. Jahrhundert ihr Glück suchten.
Unter der Bande von Pelztrappern, die in ihrem Film „First Cow“ am Anfang durch die Wälder des amerikanischen Nordwesten ziehen, konzentriert sie sich einmal nicht auf die Abenteurergestalten mit den rauen Bärten und Manieren, sondern auf den sanften Koch Cookie (John Magaro).
Für das Leben jenseits der Zivilisation scheint der völlig ungeeignet. Er soll Fleisch kochen, aber das Eichhörnchen, das er gejagt hat, ist ihm entwischt, und nun gibt es zum allgemeinen Ärger wieder nur Pilzsuppe. Dann stößt er bei der nächsten Nahrungssuche im Wald auf einen nackten Mann im Gebüsch. Zuerst hält er ihn für einen „Indianer“, aber King Lu (Orion Lee) stellt sich als Chinese heraus, der gerade vor russischen Trappern davonläuft, weil er einen von ihnen erschossen hat.
So wild seine Geschichte klingt, ist doch auch King Lu keiner der typischen rauen Wildwestmänner, sondern ebenso kleinmütig und eher scheu wie Cookie. Immerhin hat King Lu große Träume und viele Geschäftsideen: Biberöl nach China verkaufen oder genug Gold finden, um ein Hotel in San Francisco zu eröffnen.
25. 2., 12 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
25. 2., 18.15 Uhr, Friedrichstadtpalast
1. 3., 10 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Eine Wildwest-Wohngemeinschaft
Die beiden Außenseiter sind sich sympathisch und beziehen in einer Art Wildwestvariante von Wohngemeinschaft zusammen eine einfache Hütte in den Wäldern. Dann entdecken sie eine Kuh, die erste Kuh hier an der „Frontier“. Sie gehört dem „Chief“ (Toby Jones). Cookie weiß, dass das Backen mit Milchprodukten gleich noch mal besser gelingt. Die „öligen Kekse“, die King Lu und Cookie zubereiten, werden zum Renner auf dem Markt der noch straßenlosen Wildweststadt.
Was folgt, ist in vielem wieder eine echte Westerngeschichte, mit Flucht vor berittenen Männern mit Waffen und Sprung vom Felsen und verstecktem Schatz. Aber dann eben doch noch mal anders.
Kelly Reichardt erzählt in einem Tempo und einer Zurückhaltung, die dem Temperament ihrer Helden fast zu sehr entspricht. Der gemächliche Rhythmus entfaltet dabei eine eigene Suggestionskraft: Was ist das für eine Beziehung zwischen dem schweigsamen Cookie und dem stets Pläne schmiedenden Kung Lu? Dass die beiden sich mögen, wird nie ausgesprochen, aber da gibt es diese Gesten. Etwa wenn Cookie einen Blumenstrauß pflückt für das neue Quartier oder Kung Lu seinem Gefährten den ersten gelungenen Keks auf die Fensterbank legt. Ist es mehr als eine Männerfreundschaft?
Aus der Rahmenhandlung, in der eine junge Frau in der Gegenwart zwei Skelette nebeneinander findet, weiß man, wie es mit ihnen endet, aber eben nicht, was zwischen ihnen war. Es scheint, als ob Reichardt den historischen Figuren kein Etikett aufdrücken wollte, das diese nicht angenommen hätten. Die so bestimmt gesetzte Ruhe dieses Revisionswestern, die manchmal an Langeweile grenzt, macht so noch einmal neu Sinn: In der großen, rastlosen Übergangsgesellschaft, die diese „Frontier“ war, innezuhalten fürs bislang Übersehene. Ein erster Favorit im diesjährigen Wettbewerb.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!