US-Angriff auf IS-Stellung in Afghanistan: Im Schatten der Megabombe
Warum haben die USA am 13. April in Ostafghanistan die größte je gezündete nichtnukleare Bombe abgeworfen? Vor Ort sind die Meinungen gespalten.
Obwohl Achin nur eine Stunde von Dschalalabad entfernt liegt, meiden viele Stadtbewohner den Distrikt seit dem Aufkommen der dortigen IS-Zelle Anfang 2015. „Man wird entführt oder sofort enthauptet“, sagt Saleh. Die meisten Informationen über den IS wie über den Abwurf der Megabombe kennt er nur vom Hörensagen – so wie die meisten Afghanen vor Ort. „Ich habe gehört, Hunderte IS-Kämpfer wurden durch die Bombe getötet. Ich denke, die meisten Menschen in Nangarhar begrüßen das. Hier hat jeder Angst vor dem IS“, sagt Eisverkäufer Mohammad Bilal.
Direkt nach der Detonation am 13. April wurde das Abwurfgebiet vom afghanischen und US-Militär abgesperrt. Journalisten und anderen unabhängigen Beobachtern wurde der Zugang verwehrt. Während Afghanistans Regierung von mindestens 94 getöteten IS-Extremisten sprach, hielt sich Washington mit Angaben zurück und erklärte lediglich, IS-Kämpfer in einem Tunnelsystem seien das Ziel gewesen. An dieser Version hat sich bis heute nichts geändert.
Ob und wie viele Zivilisten zu Schaden gekommen sind, bleibt unklar. „Nach all den anderen Luftangriffen ist der Abwurf dieser Monsterbombe nur ein neuer Höhepunkt, der deutlich macht, dass unser Land als Waffentestgelände missbraucht wird“, meint Said Ahmad, ein Student aus dem Distrikt Khogyani. „Bisher wurden keine Beweise vorgelegt, dass wirklich IS-Kämpfer getötet wurden.“ Sein Bruder Emran ergänzt: „Bald werden die Amerikaner viele dieser Bomben verkaufen. Das war ein erfolgreicher Marketing-Stunt.“
Andere Einwohner des Distrikts, der gegenwärtig von den Taliban kontrolliert wird, sprechen konkret von zivilen Opfern. „Der IS operiert weiter erfolgreich. Man hat wieder einmal Zivilisten getötet, deshalb wurde das Abwurfsgebiet auch abgesperrt“, meint Rahim Gul, ein Taxifahrer. Er bezieht sich auf Berichte von Familienangehörigen aus Achin.
Said Ahmad, Student aus Khogyani
Es gibt auch völlig konträre Aussagen. So meinen mehrere Einwohner von Dschalalabad und Khogyani, der Angriff gegen den IS sei völlig wirkungslos gewesen. Stattdessen, so der Tenor, sollte das Bombardement nur den Weg zu Bodenschätzen in der Region öffnen. Achin gilt als besonders reich an Mineralien und beherbergt unter anderem Magnesit und Speckstein. Überprüfen lassen sich die Aussagen momentan nicht.
Auch lokale Taliban-Kämpfer, die seit Monaten in der Region gegen den IS kämpfen, zweifeln an der offiziellen Version. „Zum Zeitpunkt des Bombardements hielten sich unseres Wissens nach in dem besagten Dorf in Achin keine IS-Kämpfer mehr auf. Der Zweck dieses Angriffs ist uns deshalb unklar“, sagt ein lokaler Taliban-Kämpfer.
Alles beruht auf Hörensagen
Habibullah Samimi (Name von der Redaktion geändert), Taliban-Kommandant aus Khogyani, geht noch weiter. „Die Einzigen, die den IS in Nangarhar ernsthaft bekämpfen, sind wir. Diese Bombe hat ihr angebliches Ziel vollkommen verfehlt. Stattdessen wurden Zivilisten getötet, was nun verdeckt wird“, meint er in der üblichen übertriebenen Taliban-Manier.
Nahezu alle Aussagen, die zum Bombenabwurf und ihren Folgen im Umlauf sind, beruhen auf Hörensagen und sehr vagen Berichten, die nicht überprüfbar sind. Menschenrechtsaktivisten in- und außerhalb Afghanistans haben in den letzten Wochen den Abwurf der Megabombe kritisiert. Auch Expräsident Hamid Karzai behauptete, Afghanistan werde von den USA als „Waffentestgelände“ missbraucht und übte scharfe Kritik an Präsident Ashraf Ghani in Kabul. US-Präsident Donald Trump bezeichnete den Abwurf der Bombe als „sehr erfolgreich“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin