URTEIL IM PROZESS GEGEN MITTÄTER BEIM POGROM IN LICHTENHAGEN 1992: Späte, halbe Gerechtigkeit
Die Bilder des brennenden Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen gingen 1992 um die Welt. Sie waren ein Signal – für das Zurückweichen von Staatsmacht und Politikern vor einem rassistischen Mob. Dieser Mob fühlte sich von der damaligen Asyldebatte, von unzähligen Medienberichten à la „das Boot ist voll“ und tausenden Anwohnern angefeuert – und griff als Vollstrecker eines vermeintlichen „Volkswillens“ zu den Brandflaschen.
Drei von mehreren hundert rechten Skinheads sind gestern vom Landgericht Schwerin wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung verurteilt worden. Das Urteil ist ein Novum in der Geschichte der juristischen Aufarbeitung jener Brandnacht. Denn bislang hatten die Gerichte die Tatbeteiligung mehrheitlich als Landfriedensbruch gewertet. Nun begründete das Gericht sein Urteil auch damit, dass die Angeklagten als Teil des Mobs das Handeln „bekannter und unbekannter Mittäter“ gebilligt hätten.
Doch trotz der Genugtuung vor allem der Nebenkläger, die nur durch einen Zufall den Flammen entkamen, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Da ist zum einen die Verschleppung des Prozesses durch einen Richter, der immer „dringendere Haftsachen“ zu verhandeln hatte als den Mordversuch an über einhundert Vietnamesen. Damit reihte sich der Umgang des als Richter „Gnädig“ bekannten Vorsitzenden Horst Heydorn nahtlos ein in die Skandalchronik der politischen Aufarbeitung des Pogroms. Bis heute sind weder die Polizeiführer noch jene Politiker, die dafür sorgten, dass Migranten schutzlos der Gewalt überlassen wurden, zur Verantwortung gezogen worden.
Die Folgen von Rostock-Lichtenhagen sind bekannt. Seitdem wurde das Asylrecht eingeschränkt, seitdem fielen über einhundert Menschen dem rechten Terror zum Opfer. Heute hat die Zahl rechtsextremer Straftaten mit rund 10.000 im letzten Jahr das Niveau der frühen 90er wieder erreicht. Wenn es eine Lehre gibt aus der Brandnacht des 24. August 1992, dann die, dass Lichterketten, NPD-Verbot und ein „Aufstand der Anständigen“ Kosmetik bleiben, solange andernorts Biedermänner damit drohen, „Zuwanderung“ zum Wahlkampfthema zu machen. HEIKE KLEFFNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen