UNO-Vollversammlung: Leider nur normal

Joe Biden hielt eine abgewogene, diplomatische Rede. Das reicht in diesen Zeiten nicht. UNO-Generalsekretär Antònio Guterres machte es besser.

Joe Biden spricht vor der UNO-Vollversammlung in New York am Pult

Immerhin anders als Trump: Biden am Dienstag vor der UNO-Vollversammlung Foto: dpa / Bernd von Jutrczenka

Vier Jahre ist es her, da hielt Donald Trump seine erste Rede vor der UN-Vollversammlung. Trump war gekommen, um die Sau rauszulassen. Er protzte mit der Stärke des US-Militärs, drohte mit der „totalen Zerstörung“ Nordkoreas und rief die versammelten Staats- und Regierungschefs auf, wie er auf nationalen Egoismus zu setzen.

Was für ein Gegensatz in diesem Jahr. In seinem ersten Auftritt als US-Präsident vor der UN-Vollversammlung beschwor Joe Biden die Kraft von Diplomatie und Zusammenarbeit. Er kündigte an, global führen zu wollen, aber gemeinsam mit Partnern und Verbündeten. Schließlich sei der Erfolg des eigenen Landes immer davon abhängig, dass andere ebenso erfolgreich seien. Biden erhielt donnernden Applaus für diesen Appell zu mehr Vernunft und für die Rückkehr der USA zur diplomatischen Normalität.

Das Problem ist: Die alte Normalität reicht nicht mehr, um die Probleme der Welt im Herbst 2021 zu lösen. UN-Generalsekretär Antònio Guterres fasste das richtig zusammen, als er vor der UN-Vollversammlung erklärte: „Wir stehen am Abgrund und bewegen uns in die falsche Richtung.“ Angesichts der „größten Kaskade von Krisen zu unseren Lebzeiten“ sei die Welt nie bedrohter, aber auch nie gespaltener gewesen. Menschenrechte und Wissenschaft stünden unter Beschuss, und die dringend gebrauchte Solidarität in der Covidpandemie bleibe aus. „Wir haben das Wissenschaftsexamen bestanden, aber in Ethik bekommen wir eine sechs.“

Natürlich ist auch das nur eine Rede, aber eine starke. Und das ist es, was man auf der 76. UN-Vollversammlung erwarten darf und muss: Ein Aufbruchssignal, ein „wir haben verstanden“, die glaubwürdige Ankündigung, jetzt ernst zu machen mit dem Kampf gegen Klimakrise, globale Ungerechtigkeit, die Pandemie und neu aufflammende Kriege überall auf der Welt. Diese Art von Rede hat US-Präsident Biden nicht gehalten.

Wirtschaft statt Demokratie

Chinas Präsident Xi Jinping, Bidens international wohl bedeutendster Widersacher, ließ keinen Zweifel daran, dass er den neu formulierten Führungsanspruch der USA bekämpfen wird. Demokratie sei kein Sonderrecht, das einem einzigen Staat zustehe, erklärte Xi und erteilte doch zugleich dem „sogenannten Übergang zur Demokratie“ eine Absage: Letztlich gehe es doch um die Wiederbelebung der Wirtschaft.

Entwicklung statt Menschenrechte: Das ist „Demokratie“, wie sie Xi Jinping vorschwebt. In der UN-Vollversammlung hat er nach vier Jahren US-amerikanischen Totalausfalls mehr Unterstützer als früher. Und so ist die Rede Joe Bidens ein wichtiges Signal und natürlich ein Anfang. Die Rückkehr zur Normalität in den US-Außenbeziehungen ist besser als alles, was Donald Trump in den vergangenen Jahren geliefert hat. Doch es bleibt die Erkenntnis, dass das nicht reicht. Letztlich war Bidens Auftakt vor der UN-Vollversammlung leider nur normal.

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Seit 2011 berichtet Marc Engelhardt aus Genf von den Vereinten Nationen und den 200 anderen internationalen Organisationen mit Sitz am Genfer See, außerdem über die Schweiz und Liechtenstein. Davor war er sieben Jahre lang als Afrika-Korrespondent in Nairobi, nach Volontariat beim NDR und ein paar Jahren bei der Tagesschau. Ansonsten schreibt der gebürtige Kölner gerne Bücher, zuletzt über den Baobab, seine Lieblingsinsel Rügen und eine nackte Reise um die Welt.

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