UNO-Berichte zur Lage in Syrien: Keine einzige „sichere Region“
Bei der UNO stoßen Erwägungen zur Rückführung syrischer Flüchtlinge auf Unverständnis. Sichere Gebiete gebe es in dem Land nicht.
Dann „sollten diese Politiker die öffentlich zugänglichen Berichte lesen“, die der für die Tätigkeit aller humanitären Sonderorganisationen der UNO verantwortliche Untergeneralsekretär Mark Lowcock sowie der heute für humanitäre Fragen in Syrien zuständige frühere UN-Nothilfekoordinator Jan Egeland vergangene Woche in New York und in Genf vorlegten.
Diesen Berichten zufolge gibt es keine einzige Region in Syrien, die als „sicher“ eingestuft werden könnte. Selbst in den vier „Deeskalationszonen“, in denen in den vergangenen Monaten auf Basis einer zwischen Russland, Iran und der Türkei getroffenen Vereinbarung lokale Waffenruhen ausgehandelt wurden, finden teilweise weiterhin heftige Gefechte statt. Die Kämpfe hätten allein im Oktober dieses Jahres 440.000 Menschen aus ihrer Heimat in andere Gebiete Syriens vertrieben, heißt es in den beiden UNO-Berichten. Dies übersteige die Zahl der Rückkehrer – fast ausschließlich Binnenvertriebene – um etwa das Dreifache.
In der Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei, wohin im vergangenen Herbst die von den Regierungstruppen aus Aleppo vertriebenen Rebellenmilizen sowie Kämpfer der al-Qaida zwangsumgesiedelt wurden, werde zudem mit dem baldigen Ausbruch neuer schwerer Kämpfe gerechnet. Außerdem sind nach wie vor zehn Städte mit insgesamt fast drei Millionen BewohnerInnen von jeglicher humanitärer Versorgung abgeschnitten – und dies zum Teil bereits seit 2012.
Dramatische Lage in Ost-Ghouta
In acht der zehn Fälle sind die Belagerer syrische Regierungstruppen, in den beiden anderen Fällen eine Rebellenmiliz beziehungsweise der sogenannte „Islamische Staat“. Besonders dramatisch ist die Lage in der von Regierungsstreitkräften belagerten und immer wieder bombardierten Rebellenenklave Ost-Ghouta. Sie wurde von der UNO vergangene Woche zum „humanitären Notfall“ erklärt.
Das Leid der 400.000 Zivilisten in der Vorstadt von Damaskus ist laut Egeland „unerträglich“. Nur wenige tausend Menschen hätten unter größten Mühen und Gefahren versorgt werden können. 500 Menschen, darunter Verletzte und Kinder, schwebten wegen Unterernährung und fehlender Behandlung in Lebensgefahr.
„Wir sind frustriert, wütend und schockiert“, erklärte Egeland. In Ost-Ghouta seien bereits neun Kinder gestorben. Insgesamt müssten aus medizinischen Gründen 167 Kinder in Sicherheit gebracht werden. Seit Monaten warte man auf die Erlaubnis der syrischen Regierung, die Kranken und Verletzten in Kliniken zu bringen, die mit dem Auto 45 Minuten entfernt seien. „In dieser Deeskalationszone gibt es nur Eskalation“, schilderte Egeland die Lage vor Ort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit