UN-Welthungerbericht: Hunger nimmt ab, aber nicht überall
Laut UN-Welthungerbericht sinkt der Anteil der chronisch Hungernden an der Weltbevölkerung. Jedoch: In Afrika und im Nahen Osten nimmt die Zahl wieder zu.

Die globale Ernährungskrise, ausgelöst durch die Covid-19-Pandemie, die bis zu 95 Millionen Menschen in Armut stürzte, scheint vordergründig überwunden. Im ersten Pandemiejahr 2020 war die Hungerrate, die zuvor fast ein Jahrzehnt lang unter 8 Prozent lag, sprunghaft von 7,5 auf 8,5 Prozent gestiegen und erreichte 2022 ihren Höhepunkt.
Doch der Kampf gegen den Hunger steht wieder dort, wo er bereits vor 15 Jahren war. 8,2 Prozent Hungernde – diesen Wert erreichte die Welt bereits 2011. Absolut gesehen litten 2024 rund 673 Millionen Menschen an chronischem Hunger, nach einem Höchststand von 697 Millionen während der Pandemie – so viele wie seit 2007 nicht mehr.
Es ist ein Rückschlag von fast einer ganzen Generation, und dieser verteilt sich extrem ungleich. Der Hunger sinkt beständig seit Jahrzehnten in Asien und Lateinamerika. In Afrika, wo inzwischen ein Fünftel der Bevölkerung betroffen ist, und auch im Nahen Osten steigt er jedoch stetig. Während die Zahl der chronisch Hungernden weltweit zwischen 2005 und 2024 von 789 auf 673 Millionen sank, verdoppelte sie sich in West- und Zentralafrika von 68 auf 140 Millionen. Südostasien und Ostafrika zählten 2005 jeweils etwa 95 Millionen Hungernde – im Jahr 2024 sind es in Südostasien 34 Millionen, in Ostafrika 120 Millionen.
Gesundes Essen ist in ärmeren Ländern teurer
Chronischer Hunger ist nur ein Teil des Gesamtbildes. Während „nur“ 673 Millionen Menschen auf der Welt chronisch hungern, leiden 2,3 Milliarden an moderater oder schwerer Ernährungsunsicherheit – fast 700 Millionen mehr als vor zehn Jahren. Das entspricht 28 Prozent der Weltbevölkerung. In Afrika ist der Anteil an der Gesamtbevölkerung mit knapp 59 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Und 2,6 Milliarden Menschen auf der Welt können sich keine gesunde und ausreichende Ernährung leisten – diese Zahl sinkt zwar global, vor allem dank Erfolgen in Indien, aber in Afrika steigt sie und hat 2024 erstmals die Marke von 1 Milliarde sowie die Rate von zwei Dritteln der Bevölkerung überschritten.
In den ärmsten Ländern ist gesunde und ausreichende Ernährung gemessen an der Kaufkraft teurer als in den reichsten. Während der Pandemie, als der Handel erschwert war, stiegen die Lebensmittelpreise weltweit und blieben hoch. Die „schwersten und nachhaltigsten“ Preissteigerungen, vor allem im Jahr 2023, gab es, so der Bericht, in den ärmsten Ländern, die höchste Lebensmittelinflation im Jahr 2024 verzeichnete Afrika. Je höher die soziale Ungleichheit, desto stärker schlägt Inflation auf die Ernährungsunsicherheit durch, so der UN-Bericht: Die Menschen essen weniger, um über die Runden zu kommen. Von Nairobis Slums bis zu Ghanas Savannen haben mehr als zwei Drittel der Menschen Anzahl und Umfang ihrer täglichen Mahlzeiten reduziert.
Die Folgen sind gravierend. Nur ein Drittel der Babys weltweit erhält eine ausreichend vielfältige Ernährung und nur zwei Drittel aller Frauen unter 49 Jahren. Gerade Menschen an der Armutsgrenze greifen verstärkt zu hochverarbeiteten Billiglebensmitteln. Der Anteil von Frauen unter 49 mit Anämie (Blutarmut) ist weltweit auf über 30 Prozent gestiegen. Gleichzeitig nimmt Fettleibigkeit zu – eine Folge von Fehlernährung.
Schlechtes Essen in unzureichender Menge ist also das Los von Milliarden Menschen auf der Erde. Und es gibt nach wie vor dramatische Notsituationen infolge der Ausbreitung von Krieg und Unsicherheit in einzelnen Ländern. 2024 litten 295 Millionen Menschen an akutem Hunger, die Hungerhilfe notwendig macht. Die meisten Betroffenen leben in Nigeria, Sudan, der DR Kongo, Bangladesch und Äthiopien. Zwei Millionen Menschen befanden sich im nur sehr selten festgestellten Zustand der Hungersnot, die Hälfte davon im Gazastreifen.
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