UN-Umweltchef Steiner über Rio+20: Schluss mit den Benzin-Subventionen
UN-Umweltchef Steiner erklärt, wie er mit „grüner Wirtschaft“ in Rio den Globus retten will. Und er spricht über Risiken für die Natur und selbstkritische Deutsche.
taz: Herr Steiner, ist unerschütterlicher Optimismus eigentlich ein zwingendes Einstellungskriterium für Ihren Job?
Achim Steiner: Ja, ich denke, Optimismus muss dazugehören. Schließlich ist es ja Teil meiner Aufgabe, Menschen zu vermitteln, dass es Lösungen für die drängenden Umweltprobleme gibt.
Aber gibt es 20 Jahre nach Rio wirklich Anlass für Optimismus? Viel bewirkt haben die Erkenntnisse von damals ja nicht.
Das stimmt, die Bilanz fällt tatsächlich dramatisch aus: Unser jüngster Bericht zum Zustand der weltweiten Umwelt hat gezeigt, dass sich praktisch alle Umweltprobleme verschärft haben. Vieles von dem, was wir vor 20 Jahren noch als mögliche Zukunftsszenarien beschrieben haben, wird mittlerweile Realität. Aber dadurch steigt auch der Handlungsdruck: Dass es so auf Dauer nicht weitergehen kann, haben die meisten Menschen inzwischen erkannt.
Ihr zentraler Vorschlag ist die „Green Economy“. Glauben Sie, dass die in absehbarer Zeit Realität wird?
Sie ist es teilweise schon. Viele Länder haben begonnen umzusteuern. So gab es trotz Wirtschaftskrise im Jahr 2011 wieder eine Rekordinvestition in erneuerbare Energien. Allerdings geht der Wandel immer noch viel zu langsam.
Jahrgang 1961, ist Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) in Nairobi. In dieser Funktion ist er Gastgeber des Umweltgipfels, der vom 20. bis 22. Juni in Rio de Janeiro (Brasilien) stattfinden wird. Steiner ist deutscher Staatsbürger, ist in Brasilien aufgewachsen und hat in England, Deutschland und den USA Wirtschaft und Politik studiert. Bevor er 2006 als Nachfolger von Klaus Töpfer an die Unep-Spitze rückte, war er für unterschiedliche Umweltverbände tätig.
Warum dauert es denn so lange? Sie schreiben ja in Ihrem Bericht, dass die Green Economy der klassischen Wirtschaft auch ökonomisch überlegen ist. Dann müsste es doch eigentlich von allein laufen.
Zum einen ist die Politik sehr vorsichtig. Niemand möchte sich dem Vorwurf aussetzen, Arbeitsplätze oder Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Zum anderen halten Teile der Wirtschaft natürlich erst mal an den bestehenden Strukturen fest, in die sie investiert haben. Dieser Lobbyismus verhindert oder verlangsamt Reformen – auch in Deutschland, wo die großen Energiekonzerne nicht gerade zu den Vorreitern der Energiewende gehören. Zudem gibt es immer noch falsche Anreize. Solange wir fossile Brennstoffe weltweit jährlich mit 600 Milliarden Dollar subventionieren, haben es andere Energieformen schwer. Dies zu korrigieren ist daher auch eine der Forderungen in Rio.
Langen denn gute Argumente, um diesen Wandel durchzusetzen? Schließlich sind mit Umweltzerstörung, etwa durch fossile Energieträger, gewaltige Macht- und Geldinteressen verbunden. Die Kohle- und Öllobby wird es nicht einfach schlucken, dass ihre Subventionen gestrichen werden.
Ich sage ja nicht, dass es einfach wird. Aber unsere wichtigste Aufgabe ist es zunächst mal, darüber aufzuklären, was die Konsequenzen der bisherigen Politik sind – und dass es vielversprechende Alternativen gibt. In einer Demokratie ist ein gesellschaftlicher Konsens die beste Voraussetzung dafür, dass wir Politik gestalten können.
Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus aller Welt treffen sich vom 20. bis 22. Juni in Rio de Janeiro. Genau 20 Jahre nach dem "Erdgipfel", der 1992 ebenfalls in Rio stattgefunden hat, soll Bilanz gezogen und über neue Konzepte zur Lösung der globalen Umwelt- und Entwicklungsprobleme beraten werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Teilnahme allerdings mit Verweis auf die Eurokrise abgesagt. Auch US-Präsident Barack Obama kommt nicht nach Rio.
Im Mittelpunkt der Konferenz steht das Konzept der Green Economy. Die Unep hat eine umfassende Studie vorgelegt, wie die Weltwirtschaft „von braun zu grün“ umgestellt werden kann: Für Investitionen in Höhe von etwa 2 Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts (1 bis 2 Billionen Dollar jährlich) könnte die Wirtschaft weg von den fossilen Energien, hin zu mehr und gesünderen Lebensmitteln, besserer Wasserversorgung, erneuerbaren Energien, nachhaltigem Tourismus und neuer Gestaltung von Gebäuden gebracht werden.
Green Economy ist für die Unep eine Wirtschaft, die ohne fossile Brennstoffe auskommt und den Armen die Teilhabe am Wirtschaftsleben ermöglicht. Eine solcherart grüne Wirtschaft, verspricht die Unep, werde nicht nur mehr Wohlstand erzeugen, sondern nach sechs Jahren höhere Wachstumsraten zeigen als die fossile Wirtschaftsform und auf Dauer mehr Jobs schaffen. Für die Unep ist klar: Green Economy ist kein Luxus für die Reichen, sondern „zentral bei der Bekämpfung der Armut“.
Widerstand gegen Ihr Konzept gibt es auch von einigen Umweltorganisationen, gerade auch aus Lateinamerika. Sie fürchten, dass die Green Economy zu verstärkter Kommerzialisierung der Natur führt. Unep will der Natur einen Wert zuweisen – da ist der Schritt hin zur Ware nicht mehr weit.
Dass manche da ein Risiko sehen, kann ich nachvollziehen. Aber ist das Risiko für die Natur nicht um ein Vielfaches höher, wenn unsere Volkswirtschaften den Wert der vielfältigen Dienstleistungen unserer Ökosysteme mit null beziffern? Unser Ansatz, den Dienstleistungen der Natur einen ökonomischen Wert zuzuweisen, muss keinesfalls zu einer verstärkten Ausbeutung, einer Kommerzialisierung führen. Im Gegenteil: Auf Grundlage der ökonomischen Bewertung kann ein Land gerade die Entscheidung treffen, Nachhaltigkeitskriterien für Wirtschaftszweige und Unternehmen einzuführen, Nutzungen einzuschränken und Schutzgebiete auszuweisen.
Kritisiert wird auch, dass Sie zur Lösung der Umweltprobleme stark auf marktbasierte Lösungen setzen. Ist ein solches Vertrauen auf Märkte nach den jüngsten Krisen noch angebracht?
Wer unseren Green Economy Report liest, wird feststellen, dass genau dies nicht unsere Schlussfolgerung ist. Wir können zwar nicht so tun, als ob sich die Weltwirtschaft heute oder in Zukunft in einem marktfreien Raum bewegt. Aber eine zentrale Erkenntnis des Berichts ist, dass der Markt allein nicht in der Lage ist, auf Grundlage von Angebot und Nachfrage den Wert von Natur für unser Dasein adäquat zu erfassen. Darum müssen wir Märkte gestalten, indem wir Rahmenbedingungen schaffen und Grenzen setzen, etwa durch gezielte Steuer- und Subventionspolitik.
Aber die Grundlage der Märkte, das kapitalistische System, stellen Sie nicht in Frage. Kann es denn in einem System, das auf permanentes Wachstum angewiesen ist, gelingen, den Ressourcenverbrauch zu stoppen?
Auch hier muss ich widersprechen. Der Bericht spricht sich nicht für den Kapitalismus aus und schon gar nicht für blinden Wachstumsglauben. Vielmehr bezweifelt er, dass uns das ungezügelt in eine nachhaltige Zukunft tragen kann. Aber wir müssen uns auch den Realitäten stellen: Vom wirtschaftlichen Handeln auf diesem Planeten finden etwa 25 Prozent in öffentlichen Haushalten statt und drei Viertel in Märkten, vom Kleinbauern bis zum Multi. Veränderungen können in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen stattfinden. Aber es bringt nichts, einen Idealzustand für die ferne Zukunft zu beschreiben. Wir haben nicht die Zeit, eine neue Weltwirtschaft zu erfinden.
Was heißt das?
Wir müssen in der Wirklichkeit, die wir heute haben, schnellstmöglich Veränderungen herbeiführen. Und zeigen, dass es möglich ist, die wirtschaftliche Entwicklung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.
Aber geht das wirklich? Frisst nicht das stetige Wachstum alle Fortschritte bei der Effizienz wieder auf?
Dass die Entkopplung möglich ist, ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Realität. Durch den Übergang von der Glühbirne zur LED-Technik können wir heute in einem Gebäude mit einem Zehntel des Stromverbrauchs die gleiche Menge Licht bereitstellen.
Was aber den Verbrauch nicht senkt, wenn gleichzeitig immer mehr Menschen in immer mehr Häusern immer mehr Licht haben wollen.
Aber was ist denn die Alternative? Bis 2050 wird es wahrscheinlich neun Milliarden Menschen geben, und viele werden ihren Konsum erhöhen. Wir können uns nicht darüber hinwegsetzen, dass vor allem in den Entwicklungsländern erst einmal mehr verbraucht wird. Ziel kann nur sein, das so effizient wie möglich zu tun – durch Technologie einerseits und durch die richtigen Anreizsysteme andererseits. Es ist ja immer noch so, dass gute Dinge wie Arbeit hoch besteuert werden, schlechte wie Ressourcenverbrauch hingegen niedrig.
Selbst im reichen Deutschland ist es schwierig, das zu ändern. Sobald hier die Umlage für Ökostrom ansteigt, wird gleich die ganze Energiewende in Frage gestellt. Wie soll das im Rest der Welt klappen?
Wir Deutschen sind oft zu selbstkritisch. Dass heute ein Fünftel des Stroms aus erneuerbaren Energien stammt, dass die Solarenergie so viel produziert wie 20 Atomkraftwerke, das galt vor kurzem noch als Jules-Verne-Illusion. Diese Erfolge sollten uns ermutigen, das Klimaziel – unsere CO2-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent zur verringern – als Chance zu begreifen und nicht bei jeder Herausforderung gleich das Handtuch zu werfen. Und man sollte auch nicht übersehen, aus welcher Ecke diese Zweifel oft geschürt werden.
Aber wie lässt sich verhindern, dass die Ärmsten die Verlierer des Umstiegs sind?
Umweltpolitik im 21. Jahrhundert muss eine aktive sozialpolitische Komponente haben. Ökologische Wirtschaftspolitik muss nicht auf Kosten der Armen geschehen. Und man darf nicht vergessen: Nichts zu tun ist auch nicht billig. Ein steigender Ölpreis hat ja auch finanzielle Konsequenzen. Und während fossile Rohstoffe immer teurer werden, je mehr wir verbrauchen, werden Erneuerbare mit zunehmender Nutzung immer billiger.
Sie haben Deutschland Vorreiter der Green Economy genannt. Doch Kanzlerin Angela Merkel will gar nicht erst nach Rio reisen. Enttäuscht Sie das?
Frau Merkel wird vermisst werden in Rio, daran besteht kein Zweifel. Solche Gipfel leben davon, dass die Regierungschefs am Tisch sitzen, denn manche Entscheidungen können eben nur auf höchster Ebene getroffen werden. Darum finde ich es schade, dass sie nicht kommt.
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