UN-Report zum Gefangenenlager Guantánamo: Stachel im eigenen Fleisch
In US-Lager Guantánamo werden weiter Menschenrechte verletzt. Es steht für das Totalversagen eines sich selbst als Rechtsstaat verstehenden Systems.
D as eigentlich Bedrückende an dem vernichtenden Report der UN-Sonderberichterstatterin Fionnuala Ní Aoláin über die Zustände im US-Haftzentrum Guantánamo ist, dass nichts davon überrascht. Seit über zwei Jahrzehnten besteht dieses Gefangenenlager, und alle wissen, dass es sämtliche Rechtsnormen verletzt.
Guantánamo – oder genauer: das US-Gefangenenlager auf dem Gelände der US-Militärbasis nahe der kubanischen Stadt Guantánamo – steht für das Totalversagen eines sich selbst als Rechtsstaat verstehenden Systems. Menschenrechte gehören auch dann gewahrt, wenn das eigene Land brutal angegriffen wird wie bei den Anschlägen vom 11. September 2001. Sie gelten auch im Konflikt- und Ausnahmefall.
Die schlimmsten Auswüchse des seinerzeit von der Bush-Regierung erklärten „Kriegs gegen den Terror“ – CIA-Geheimgefängnisse, Entführungen, Folter und Verschwindenlassen – mögen inzwischen abgestellt sein. Und es sind nicht mehr 780, sondern heute nur noch 30 Gefangene, die in Guantánamo einsitzen. Aber das macht es nicht besser: Das Lager ist von Beginn an so falsch und widerrechtlich konzipiert, von diesem Lager gingen und gehen noch immer so viele Menschenrechtsverletzungen aus, dass seine pure Existenz eine fortwährende Schande ist.
Folgen über die Betroffenen hinaus
Und die hat Folgen. Auch über die unmittelbar betroffenen aktuellen und ehemaligen Gefangenen und ihre Familien hinaus. Was sich die US-Regierung nach den Anschlägen von 2001 herausnahm – und das war mehr als Guantánamo –, fand Nachahmer weltweit und erodierte den seinerzeit mit der erst kurz zurückliegenden Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag initiierten Versuch einer weltweiten Durchsetzung menschenrechtlicher Standards nachhaltig.
Und wenn heute darüber diskutiert wird, warum so viele Länder des globalen Südens sich nicht im Sinne einer regelbasierten internationalen Außen- und Sicherheitspolitik der westlichen Position anschließen und Russland wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine isolieren, dann gehört zur Antwort auch: Guantánamo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge