UN-Klimakonferenz in Baku: Auf Du und Du mit dem UN-Kohlenstoffmarkt
Die Delegierten auf dem Weltklimagipfel nicken Standards für CO₂-Kompensationszertifikate ab. Ist das ein Durchbruch? 7 Fragen und 7 Antworten.
Was sind Kohlenstoffmärkte?
Im Pariser Klimaabkommen haben sich die Regierungen der Mitgliedstaaten darauf geeinigt, einen Markt zu schaffen, auf dem CO₂-Kompensationszertifikate gehandelt werden: den UN-Kohlenstoffmarkt. Ein Zertifikat dort entspricht einer Tonne des Klimagases, die gar nicht erst ausgestoßen oder auch wieder der Atmosphäre entzogen wurde.
Die UN-Weltklimakonferenz in Baku zieht vor Beginn der zweiten Woche ein dürres Fazit:
Schäden und Verluste: Für Entwicklungsländer, die von Extremwetterereignissen getroffen werden, steht ab 2025 ein Hilfsfonds bereit. Bislang soll es Zusagen über rund 720 Millionen US-Dollar geben. Expert*innen schätzen, dass der Bedarf 2030 bei jährlich 250 Milliarden US-Dollar liegt.
Kompensationszertifikate: Die Staaten haben sich auf erste Standards geeinigt, die jetzt aber noch genauer ausgefeilt werden müssen (siehe Text).
Geld für Klimaanpassung im Globalen Süden: Beim großen Schwerpunkt des Gipfels ist eine Einigung bislang nicht absehbar. (epd)
Letzteres lässt sich etwa durch das Pflanzen von Bäumen oder die Wiedervernässung von Mooren machen. Vermieden wird CO₂-Ausstoß zum Beispiel, indem Windparks Strom produzieren, der dann nicht aus Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerken stammen muss. Nicht zu verwechseln ist dieser UN-Kohlenstoffmarkt zum Beispiel mit dem Europäischen Emissionshandel, in dem Unternehmen aus der Energiebranche und der Industrie Emissionszertifikate kaufen müssen, wenn sie CO₂ ausstoßen.
Wer kauft und verkauft diese Kompensationszertifikate?
Verkauft werden die Zertifikate von den Betreiber*innen der Windparks oder den Wald- und Moorbesitzer*innen. Mit den Erlösen können sie ihre Klimaschutzprojekte bezahlen. Kaufen kann die Zertifikate im Prinzip jede*r.
Staaten zum Beispiel könnten für Klimaschutzprojekte etwa in Nigeria bezahlen, dafür Kohlenstoffzertifikate erhalten und die auf ihre Klimaziele anrechnen.
Unternehmen sind interessiert an Kohlenstoffzertifikaten, weil sie damit ihre Klimabilanz verbessern und sich zum Beispiel als „klimaneutral“ präsentieren wollen. Die Herstellung von Zement zum Beispiel ist bislang nicht möglich, ohne CO₂ auszustoßen. Um selbst klimaneutral zu sein, muss ein Zementwerk dafür sorgen, dass irgendwo anders CO₂ eingespart wird.
Durch den Handel mit den Zertifikaten soll effizient Geld in Klimaschutzprojekte fließen, die sonst vielleicht nicht finanziert werden könnten.
Aber Unternehmen kaufen doch schon Zertifikate und bezeichnen sich als klimaneutral?
Isa Mulder, Carbon Market Watch
Ja, aber das passiert auf unregulierten Märkten. Die sind während der Pandemie stark gewachsen, viele Unternehmen wollten ihre Klimabilanzen verbessern und haben bereits Kompensationszertifikate gekauft. Nur haben sich sehr viele davon als wertlos herausgestellt. Zum Beispiel hat eine Recherche von Journalist*innen von Guardian, Zeit und SourceMaterial festgestellt, dass 90 Prozent der von der weltgrößten Zertifizierungsstelle Verra überprüften Zertifikate für den Schutz des Regenwaldes nicht gedeckt sind. Verra hatte zum Beispiel Kompensationszertifikate für Disney, Shell und Gucci kontrolliert. Ähnlich verhält es sich mit Zertifikaten, mit denen Mineralölkonzerne ihre Klimabilanz verbessern konnten, wenn sie in ihrer Lieferkette CO₂ einsparen. Das ZDF hatte Hinweise erhalten, dass einige chinesische Klimaschutzprojekte wohl nicht so viel Klimagas einsparen wie von den Mineralölkonzernen angegeben. Das Bundesumweltministerium hat deshalb im Sommer einen Antragsstopp für diese Zertifikate verhängt.
Wegen zahlreicher vergleichbarer Skandale haben freiwillige Märkte in den vergangenen Jahren für Unternehmen stark an Attraktivität verloren. Damit der UN-Kohlenstoffmarkt tatsächlich für Klimaschutz sorgt, soll er von einem UN-Aufsichtsgremium überwacht werden. Dieses Gremium gibt es bereits. Es besteht aus zwölf Personen und arbeitet derzeit die Regeln für den UN-Kohlenstoffmarkt aus.
Warum dauert das so lang? Das Pariser Klimaabkommen wurde doch schon 2015 unterzeichnet.
Wenn mit Kohlenstoffmärkten wirklich das Klima geschützt werden soll, müssen strenge Regeln gelten. Sonst könnte zum Beispiel ein Gasunternehmen Kompensationszertifikate verkaufen, wenn es ein Gasfeld nicht anzapft, obwohl es dort aus anderen Gründen sowieso niemals fördern wollte. Oder ein Waldbesitzer verkauft ein und dieselbe CO₂-Ersparnis an verschiedene Unternehmen, sodass die eingesparten Tonnen mehrfach gezählt werden, ohne dass sich die Erde tatsächlich weniger stark erhitzt.
Außerdem fordern viele Entwicklungsländer, dass die Regeln des UN-Kohlenstoffmarktes auch dafür garantieren müssen, dass bei den Projekten keine Menschenrechte verletzt wurden, weil zum Beispiel Indigene von ihrem Land vertrieben wurden, um dort ein Aufforstungsprojekt zu starten. Es gibt aber immer wieder Streit über all diese Themen. So konnten die Unterzeichner des Paris-Abkommens noch keine Regeln und Standards für den Kohlenstoffmarkt vereinbaren.
Worauf haben sich die Verhandler*innen auf der Weltklimakonferenz in Baku denn jetzt geeinigt?
Die Delegierten haben Regeln und Standards dafür abgenickt, welche Projekte im UN-Kohlenstoffmarkt Zertifikate verkaufen dürfen. Vorgelegt hatte sie das UN-Aufsichtsgremium. Dieses legte zum Beispiel fest, dass die Projekte ihre vermiedenen CO₂-Emissionen konservativ schätzen und transparent mit ihren Daten und Annahmen umgehen müssen. Zusätzlich sollen Menschenrechtsverletzungen und das mehrfache Zählen von vermiedenen CO₂-Emissionen verhindert werden.
Und was ist das Problem?
Normalerweise schlägt das Gremium diese Regeln und Standards den Delegierten nur vor. Dann debattieren die Verhandler*innen der Länder darüber, ob sie dem Gremium erlauben oder untersagen, sie umzusetzen. In den vergangenen Jahren haben sich die Verhandler*innen nicht einigen können und die Vorschläge abgelehnt. Diesmal hat das Aufsichtsgremium einfach schon im Vorfeld der UN-Klimakonferenz entschieden – und die Delegierten haben nicht widersprochen. „Das hat Ländern und Beobachter*innen Zeit genommen, die Vorschläge anzuschauen und zu diskutieren“, kritisiert Isa Mulder von der NGO Carbon Market Watch. So werde das Vertrauen in die Verhandlungsprozesse untergraben.
In den verabschiedeten Regeln bleiben zudem einige Punkte weiter unklar. Zum Beispiel wird nicht bestimmt, was passiert, wenn zum Beispiel ein Wald abbrennt, für den Kompensationszertifikate verkauft wurden. Das dort gebundene CO₂ ist dann schließlich wieder in der Atmosphäre. Ebenso wenig wurde definiert, ab wann die Entnahme von Treibhausgasen als dauerhaft gilt. Je nach Interpretation könnten Projektentwickler für gespeichertes CO₂, das in 30 Jahren wieder austritt, Zertifikate erhalten. NGOs kritisieren, dass sehr riskante Technologien wie Geo-Engineering nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurden.
Wie geht es jetzt weiter?
Es gibt noch keine Vereinbarung, wann oder wie die Kohlenstoffmärkte eingerichtet werden, auch wenn es jetzt grobe Regeln gibt. Zuerst müsste ein zentrales Register für die Emissionsreduktionen geschaffen werden. Dorthin könnten die Projektentwickler das jeweils von ihnen eingesparte CO₂ melden, um dann von den UN anerkannte Zertifikate ausgeben zu dürfen. Bis es dieses Register gibt, wird es mindestens zwei Jahre dauern.
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