UN-Experte über Landnahme: "Kleinbauern werden vertrieben"
UN-Experte Oliver de Schutter kritisiert, dass immer mehr reiche Staaten in armen Ländern Anbauflächen kaufen und die Nutzer verdrängen. Dabei hätten sie keine andere Möglichkeit, sich zu ernähren.
taz: Herr de Schutter, warum bauen neuerdings immer mehr Industrie- und Schwellenländer in den ärmeren Staaten Lebensmittel für den eigenen Bedarf an?
Olivier de Schutter ist Belgier und lehrt an der Universität von Löwen Rechtswissenschaften. Seit Mai 2008 berichtet er den Vereinten Nationen, wie es um das Recht auf Nahrung weltweit bestellt ist. Diese Woche hat er versucht, Bundestagsabgeordnete für das Thema Landnahme zu sensibilisieren.
Olivier de Schutter: Sie wollen unabhängiger von Lebensmittelimporten werden, die sie nicht selbst kontrollieren. Golfstaaten, China, Japan und andere Länder kaufen riesige Gebiete, zum Beispiel in Afrika. Denn sie haben erkannt, dass die Nahrungsmittelpreise auf den Weltmärkten künftig extrem schwanken könnten. Die Preise sind ja während der Welternährungskrise 2007 und 2008 in die Höhe geschnellt. Ein weiterer Grund ist, dass wegen der niedrigen Aktienkurse mehr Spekulanten ihr Geld in Land stecken.
Warum ist das schlecht?
Auf dem Land arbeiten oft Kleinbauern. Vor allem in Afrika haben viele von ihnen keine Besitztitel. Sie können leicht für Plantagen vertrieben werden. Dabei haben diese Leute keine andere Möglichkeit, sich zu ernähren. Auch wenn das Land nicht ständig beackert wird, ist es für viele Menschen nützlich: zum Beispiel für Nomaden, die vorübergehend etwas anbauen und dann weiterziehen. 40 Prozent der Fläche in Afrika südlich des Äquators wird von Hirtenvölkern genutzt. Sie weiden ihre Tiere dort.
Warum verkaufen die Regierungen trotzdem Land?
Sie sehen das als Chance, weil es Geld und neue Technik ins Land bringt. Ausländische Investoren könnten Straßen und andere Infrastruktur bauen. Das Problem ist aber, dass die Investoren meistens nicht verpflichtet werden, Arbeitsplätze zu schaffen und die Bauern zu schützen, die auf dem Land sind. Das ist wirklich schädlich für die Leute dort.
Ist es nicht positiv, dass Geld in diese Staaten fließt?
Wir wissen nicht, ob die Regierungen das Geld auch zum Nutzen der Bevölkerung einsetzen. Immerhin gelten Länder wie Kamerun, Sudan, Uganda, Tansania oder etwa die Republik Kongo nicht gerade als Beispiele für gute Regierungsführung.
Wie groß ist das Problem?
Das ist sehr schwierig zu sagen, weil wir nicht wissen, wie viele Verträge dieser Art existieren. Aber vor einigen Wochen hat die Republik Kongo südafrikanischen Farmern 10 Millionen Hektar angeboten. Das ist eine riesige Fläche. In Indonesien sind 1,6 Millionen Hektar betroffen. Madagaskar wollte 1,3 Millionen Hektar - ein Drittel der Insel - verpachten, bevor das Geschäft gestoppt wurde.
Ist deutsches Kapital an solchen Verträgen beteiligt?
Ich vermute, dass auch deutsches Geld in Fonds steckt, die diese Sachen machen. Ich habe da aber keine genauen Informationen. Jedes Land hat die Pflicht, seine Investoren zu überwachen.
Was wollen Sie gegen diese Geschäfte unternehmen?
Wir setzen uns dafür ein, dass Richtlinien für die verantwortungsvolle Nutzung von Landressourcen entwickelt werden. Ich werde bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats im September die Verpflichtungen der Regierungen ansprechen. Sie müssen die lokale Bevölkerung in Verhandlungen mit Investoren einbeziehen.
Was kann Deutschlands Rolle sein?
Die Bundesrepublik muss bei diesem Thema die Führung übernehmen in den Organisationen, in denen sie Einfluss hat: etwa in der Europäischen Union und bei den UN. Deutschland sollte auch betroffene Staaten über die möglichen Risiken solcher Verträge beraten. Es hat aber keinen Sinn, humanitäre Hilfe für die Bevölkerung solcher Länder kürzen; das würde nur den Menschen vor Ort schaden.
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