UN-Blauhelme sollen Kongo verlassen: Panzer für den Feiertag
50 Panzer für den 50. Feiertag der Unabhängigkeit des Kongo – und Präsident Kabila will auch gleich die UN-Blauhelme aus dem Land haben. Das sorgt in Kinshasa für Unruhe.
Es ist nicht lange her, da gab es in Matadi plötzlich einen gigantischen Verkehrsstau. In dem Tiefseehafen am Unterlauf des Kongo-Flusses, über den der gesamte Atlantikfrachtverkehr der Demokratischen Republik Kongo abgewickelt wird, waren 50 Panzer der sowjetischen Typen T-72 und T-55 aus der Ukraine gelandet. Die Panzer blockierten die Straße, und alle Welt weiß jetzt über diesen Rüstungsimport Bescheid. Aber Antoine, ein pensionierter Oberst in Matadi, fragt sich wie viele andere Kongolesen, wozu die Dinger gut sein sollen: man kann damit weder im ostkongolesischen Regenwald Milizen bekämpfen, noch sind sie in den Sumpfgebieten der nördlichen Provinz Équateur einsetzbar, wo sich Kongos neue Rebellion per Boot entlang den zahlreichen Flussläufen bewegt.
"Man hat sie für die Feiern zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit eingeführt", weiß in der Hauptstadt Kinshasa ein europäischer Diplomat über die Panzer zu erzählen. Wenn am 30. Juni der Kongo die Befreiung von Belgien vor 50 Jahren feiert, ein für Kongos Identität zentrales und sehr emotionales Ereignis, soll es Militärparaden auf Kinshasas großer Hauptstraße "Boulevard 30. Juni" geben. Hoffentlich, fährt der Diplomat fort, machen die Panzer die Straße nicht wieder kaputt, die Präsident Joseph Kabila seit seiner Wahl vor vier Jahren zur größten seiner Baustellen zum Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes gemacht hat.
Die Baumaßnahmen auf dem Boulevard sind ein Sinnbild des seltsamen Schicksals des Kongo in den vier Jahren seit Kabilas Wahl. Gerade erst mit europäischer Hilfe verschönert, wurde die Prachtstraße letztes Jahr von Chinesen komplett neu aufgerissen und verbreitert. Heute ist der Boulevard eine mörderische Stadtautobahn von sechs Kilometern Länge mitten durch das Stadtzentrum, die wohl nur deswegen nicht jeden Tag tote Fußgänger produziert, weil der Verkehr auf ihr meistens im Stau steckt und die Bauarbeiten nie zu Ende gehen. Denn die chinesische Baufirma CREC macht immer dann eine Pause, wenn der Staat sie nicht bezahlt, und das ist ziemlich oft. Die Chinesen malen Verkehrslinien am liebsten zur Hauptverkehrszeit auf die Straßen. Und nachdem sie alle 600 bis 700 teils hundertjährigen Bäume entlang des Boulevards gefällt haben, um ihn zu verbreitern, setzen sie das Pflanzenmassaker nun in den lauschigen Nachbarstraßen fort.
Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Monuc) ist die größte Blauhelmmission der Welt. Gegenwärtig umfasst sie 18.645 Soldaten, 1.216 Polizisten, 712 Militärbeobachter und rund 3.700 zivile Mitarbeiter.
Eingerichtet wurde Monuc 1999 als Beobachtermission während des Kongokrieges, die ersten Blauhelmsoldaten kamen 2001. Seitdem hat Monuc vor allem Milizen im Osten des Kongo bekämpft, Kongos Regierungsarmee unterstützt sowie die Wahlen von 2006 abgesichert.
Seit Stationierungsbeginn sind 111 UN-Soldaten im Kongo ums Leben gekommen, davon 31 in Kampfhandlungen. Zuletzt töteten Milizen in Nord-Kivu am Sonntag einen indischen Soldaten in einem Hinterhalt.
Auf Wunsch von Kongos Regierung soll der UN-Sicherheitsrat am heutigen Donnerstag den Abzug der Monuc einleiten. Unter neuer, voraussichtlich französischer Führung, mit dem neuen Namen Monusco (UN-Mission zur Stabilisierung des Kongo) und vermutlich mit einem reduzierten Mandat wird die Mission danach beginnen, ihre ersten Koffer zu packen. (DJ)
Profit schlagen aus der Situation allein die Straßenhändler, die mit ihrem gellenden Ruf "Eau pure!" den lechzenden Fahrgästen der überfüllten Sammeltaxis in der staubigen Mittagshitze angeblich "sauberes" Trinkwasser in kleinen Plastikbeuteln anbieten. Wenn der Verkehr endlich fließt, ist der Boulevard noch gefährlicher. "Man muss das verstehen, die Leute probieren ihre Geschwindigkeit aus, das kannten sie vorher nicht", erklärt der Mitarbeiter einer Telefongesellschaft, als vor ihm ein Auto in einen Lastwagen kracht.
Immerhin ist der Zustand des Boulevards von Kinshasa eines von vielen sichtbaren Zeichen des Wiederaufbaus. In der Hafenstadt Matadi weihte Präsident Kabila am 11. Mai eine chinesisch gebaute neue Straßenbrücke ein, die Überlandstraßen in dieser Region sind in gutem Zustand. Aber hier sehen die Menschen vor allem die Großlastwagen aus China entlangdonnern, die Importgüter vom Meer in die Zehn-Millionen-Stadt Kinshasa bringen. Und man kann zwar in immer mehr kleinen Orten mobil telefonieren, aber fließendes Wasser gibt es deswegen noch lange nicht.
In diesem Kontext möchte Präsident Kabila den Abzug der UN-Mission im Kongo (Monuc) einleiten, die größte Blauhelmtruppe der Welt. Er will rechtzeitig vor den Feiern zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit und ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen beweisen, dass er die Lage im Griff hat, analysieren Diplomaten. Ein hoher Monuc-Mitarbeiter betont, das sei die Entscheidung Kabilas allein gewesen, nicht die der kongolesischen Armee. Deren Offiziere wissen, dass sie nach wie vor auf die logistische Unterstützung der UNO angewiesen sind, um überhaupt als Armee zu existieren. 2.000 UN-Soldaten, ein Zehntel der Truppe, sollen bis 30. Juni das Land verlassen, zunächst aus dem Westen und Norden des Landes.
Das sorgt in Kinshasa für Unruhe. "Die Blauhelme machen nicht viel, aber ohne sie ist es noch schlimmer", sagt ein lokaler Journalist. "Wir möchten, dass sie bleiben!" In Gebieten, die vom ersten Teilrückzug betroffen sind, mehren sich entsprechende Appelle an die UNO. So hat die Zivilgesellschaft des Ortes Dingila - Kirchen und Nichtregierungsorganisationen-, tief in dem von den ugandischen LRA-Rebellen terrorisierten Gebiet im Nordosten des Landes, in einem Memorandum den Ende April verkündeten Abzug des dortigen senegalesischen Kontingents scharf abgelehnt. Die LRA (Widerstandsarmee des Herrn), eine aus Uganda geflohene und im Dreiländereck der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik und Südsudans marodierende Truppe, hat in dieser Region erst vor zwei Monaten 100 Menschen massakriert und entsetzliche Verstümmelungen angerichtet; so wurden einer Frau Ohren und Lippen abgeschnitten. Gegenüber der taz gesteht UN-Generalleutnant Babacar Gaye allerdings, seine Soldaten seien gegenüber der LRA eher machtlos, denn diese bewegt sich frei in einem riesigen bergigen, kaum erschlossenen Terrain. "Sie rekrutieren jetzt sogar in der Zentralafrikanischen Republik", sagt er. "Wir haben Leute dorthin repatriiert."
Nicht nur die LRA macht Kongolesen das Leben schwer, auch die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) sowie zahlreiche lokale kongolesische Milizen im Osten des Landes. Die vorliegenden Pläne der kongolesischen Regierung, wonach bis Ende 2010 9.000 UN-Soldaten abziehen sollen und der Rest bis Ende 2011, erscheinen daher wenig realistisch. Wenngleich Gaye sich weigert, zu sagen, ob seine Blauhelme eigentlich ihrer Aufgabe gewachsen sind. "Selbst wenn ich nicht hätte, was ich brauche, würde ich es nicht der Presse sagen", so der Senegalese. Er verweist lieber auf Erfolge: "Die kongolesische Armee hat 60 Prozent der FDLR neutralisiert, das ist nicht zu vernachlässigen", betont er.
Der außergewöhnlich fragile Charakter der kongolesischen Regierungsstreitkräfte FARDC ist jedoch für Kongolesen ein Grund, solchem Optimismus zu misstrauen. Kinshasa hängt komplett von Importen ab, die über Matadi ins Land kommen, sowie vom Binnenhandel auf dem Kongo-Fluss. Aber sowohl in der Provinz Bas-Congo um Matadi als auch in der Provinz Equateur flussaufwärts scheint Kongos Regierung nicht wirklich alles unter Kontrolle zu haben.
In Bas-Congo fordert seit Jahrzehnten eine religiös angehauchte Untergrundbewegung, Bundu dia Kongo (BDK), die Wiedererrichtung des vorkolonialen Königreichs Kongo. Ihr Führer Ne Muanda Nsemi, zugleich Priester und Parlamentsabgeordneter und beliebtester Politiker der Provinz, ist seit einem Aufstand vor drei Jahren aus der Provinz verbannt; wer T-Shirts mit seinem Bild darauf trägt, kann verhaftet werden, flüstert einer seiner Vertrauten. BDK hat sich inzwischen in BDM (Bundu dia Mayala) umbenannt und versuchte im vergangenen Dezember, in der Stadt Kimpese eine öffentliche Versammlung abzuhalten. Elitepolizei verhinderte das. Viele Menschen in Bas-Congo ärgern sich, dass ihre Provinz zwar Kongos größten Hafen Matadi, das größte Wasserkraftwerk Inga sowie die wichtigsten Zementwerke und Ölfelder des Landes beherbergt, davon aber kaum profitiert. Sie könnten nun geneigt sein, bei den nächsten Wahlen der MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung) des in Den Haag inhaftierten ehemaligen Oppositionsführers Jean-Pierre Bemba ihre Stimme zu geben, sagt ein evangelischer Pfarrer aus der Region hinter vorgehaltener Hand.
Bembas Heimatprovinz Equateur wiederum ist für Kongos Regierung ein noch größeres Problem. Am Ostersonntag fiel die Provinzhauptstadt Mbandaka 500 Kilometer flussaufwärts von Kinshasa einen Tag lang in die Hände von Buschrebellen, bevor UN-Truppen sie zurückeroberten. Die Aufständischen, "ohne Forderungen oder wirkliche politische Führung", wie ein UN-Offizier behauptet, nahmen die 500.000 Einwohner zählende Stadt mit Pfeil und Bogen und ein paar Gewehren ein, nachdem sie Schiffe auf dem Kongo-Fluss gekapert hatten. Über Wochen war der Schiffsverkehr auf dem Fluss, die wichtigste Verkehrsachse des Landes, von Piratenangriffen lahmgelegt.
Schon 2007, als sich Bembas und Kabilas Garden mitten in Kinshasa blutige Kämpfe lieferten und Bemba ins Exil ging, hatte die UN-Mission Monuc vor einem allgemeinen Klima der Verfolgung gegenüber Menschen aus Equateur in Kinshasa gewarnt. "Dieses Problem besteht bis heute fort", sagt ein Oppositionssenator, der anonym bleiben will. "Die Vernachlässigung dieser Provinz sowie der einstigen Bemba-Kämpfer, die ja nicht alle demobilisiert wurden, lässt uns fürchten, dass die Unzufriedenheit irgendwann ausbricht."
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