UN-Biodiversitätskonferenz: Countdown in Cali
Seit einer Woche und noch bis zum 1. November debattieren in Kolumbien die 23.000 Teilnehmenden der COP16 der Vereinten Nationen über Biodiversität. Dazu einige Fragen – und Antworten.
Wieso geht es bei der UN-Konferenz um „Biodiversität“? Kann man nicht einfach Artenvielfalt sagen?
Einprägsamer wäre das vielleicht, aber es geht in dem UN-Prozess nicht nur um Artenvielfalt. Neben der Vielfalt von Tieren, Pflanzen, Pilzen und so weiter geht es auch „um die genetische Vielfalt und die Vielfalt von Ökosystemen“, sagt Yves Zinngrebe vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Das ist wichtig, denn ist die genetische Vielfalt innerhalb einer Art zu gering, ist sie weniger anpassungsfähig, etwa an sich ändernde Umwelten. Die Vielfalt von Ökosystemen wiederum ist Voraussetzung für Artenvielfalt. Zinngrebe ist allerdings auch dieser Zugang – Biodiversität als Vielfalt der Arten, der Genressourcen und der Ökosysteme – zu eng. Es gehe ebenso „um kulturelle Werte wie Erholungsräume, historische Bezüge und Landschaftsbilder, um Rechte der Natur und um Verteilungsfragen, wie den Zugang zu genetischen Ressourcen und zu gesunden Ökosystemen“.
Wie weit ist Deutschland beim Schutz der Biodiversität?
Geht so. Die Umweltorganisation BUND hat vergangene Woche Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben, um eine bessere Naturschutzgesetzgebung zu erzwingen – ähnlich wie dies der Klimaklage der Deutschen Umwelthilfe 2021 gelang. Auf die politische Agenda müssten die Pestizidreduktion, mehr und bessere Schutzgebiete sowie die ambitionierte Umsetzung der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“. Auf allen drei Feldern passiert bislang wenig. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) verteidigt sich damit, die Ampel habe „für den Schutz der Biodiversität bereits mehr getan als jede zuvor“. Sie verweist auf Maßnahmen wie das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“, mit dem Ökosysteme wie Wälder und Meere gestärkt, wiederhergestellt und erhalten werden können. Bis 2028 stünden für die verschiedenen Maßnahmen mehr als 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Auch das europäische Gesetz zur Wiederherstellung der Natur sei ein Meilenstein für den Biodiversitätsschutz.
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Umweltschützer erwarten von dieser COP konkrete Ergebnisse, Maßnahmen, Geldzusagen, Überwachungsmechanismen. Zeichnet sich nach einer Woche schon etwas ab?
Bislang noch nicht. „Schon die ersten Verhandlungsdokumente sehen nach sehr schwachen Umsetzungsinstrumenten aus“, berichtet Yves Zinngrebe. Es gebe bislang wenig Interesse, den Druck auf einzelne Staaten durch eine individuelle Prüfung zu erhöhen oder gute, handlungsorientierte Indikatoren zu verwenden. „Es gibt leider keine Vorstöße zu bestimmten Best-Practice-Maßnahmen, rechtlichen Maßnahmen oder Koalitionen für bestimmte transformative Veränderungen“, sagt Zinngrebe. Allerdings ist in Cali ja noch eine ganze Woche Zeit, üblicherweise gibt die Anreise der Ressort- oder gar Regierungschefs den Verhandlungen einen Schub. Zum sogenannten „High-Level-Segment“ wird auch Steffi Lemke erwartet.
Um mehr globale Gerechtigkeit geht es in Cali bei den Verhandlungen über Digitale Sequenzinformationen (DSI). Das sind Erbgut-Informationen, die in Datenbanken vorliegen. Wie wird garantiert, dass sie der öffentlichen Forschung zur Verfügung stehen? Wie werden biodiverse Länder an Gewinnen beteiligt, die private Unternehmen mit DSI erzielen?
Diskutiert wird ein globaler Fonds, in den Nutzer von DSI einzahlen. Welche Länder daraus Geld empfangen sollen – alle mit reicher Biodiversität, oder nur besonders arme – ist einer der Streitpunkte. Schließlich „sind alle Länder sowohl Nutzer als auch Anbieter von DSI“, sagt Amber Scholz von der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig, die das Thema in Cali verfolgt. Das übliche Nord-Süd-Gefälle in den Verhandlungen zeige sich hier erst mal nicht. Vor allem die großen lateinamerikanischen Länder wie Brasilien pochten darauf, dass so schnell wie möglich Geld in einen Fonds fließt, so Scholz. Die Länder des Nordens hingegen fürchten juristische Untersicherheiten für ihre Start-ups und Wissenschaftler:innen und wollen ein klares Regelwerk. Vor allem afrikanische Länder drängen darauf, dass auch der Wissenschaftssektor in den Fonds einzahlt. Die Organisation Avaaz sieht nach einer Woche Verhandlungen über DSI kaum Fortschritte, nicht ein Paragraf sei bisher zum Abschluss gebracht worden, der regele, wofür das Geld aus dem Fonds verwendet werden solle.
Bringt das eigentlich was, wenn jedes Umweltproblem – Plastik, Wüstenbildung, Klima, Artenkrise – ein eigenes UN-Abkommen bekommt?
Die Umweltszene ist sich weitgehend einig, dass es eine weltweite Koordination von globaler Umweltpolitik braucht. Allerdings betonen die Expert:innen auch, dass die verschiedenen Themen nur gemeinsam gelöst werden könnten. Sie hängen zusammen, außerdem werden so auch Zielkonflikte sichtbar. Etwa könnte die Anlage von Plantagen auf schlechten Böden dem Klimaschutz dienen – der Biodiversität aber schaden, wenn dadurch Magerwiesen vernichtet würden. Einen Ansatz zur Vernetzung haben im Sommer die Präsidenten der drei COPs gestartet, die bis Weihnachten stattfinden: Die zur Biodiversität in Cali, die Klimaschutz-COP im November im aserbaidschanischen Baku und die COP zur Wüstenbildung im Dezember in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad. Das „Rio-Trio“ soll die globale Zusammenarbeit zu den Themen Klimawandel, biologische Vielfalt und Wüstenbildung fördern. Kolumbien, Aserbaidschan und Saudi-Arabien wollten ihre Präsidentschaften nutzen, um dringende und koordinierte Maßnahmen einzuleiten. In Kolumbien können sie schon mal zeigen, was genau das heißt.
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