U-BAHN-SICHERHEIT: Datenschutz spaltet Rot-Rot
U-BAHN Zoff im Senat: Die Linkspartei lehnt die von der SPD geplante längere Speicherung von Videos ab. Derweil belegt eine Studie: Gefühlte Sicherheit entsteht durch Menschen
Kurz vor Ende der Legislaturperiode steckt die rot-rote Koalition wieder in einem tiefen Konflikt: Der Senat sprach sich am Dienstag ohne die Stimmen der Linkspartei für eine längere Speicherung von Videoaufzeichnungen auf U-Bahnhöfen aus. Die eigentliche Entscheidung über die dafür nötige Gesetzesänderung soll das Abgeordnetenhaus zügig treffen. Die Bilder sollen künftig 48 statt 24 Stunden gespeichert werden dürfen. Das ist Teil eines ebenfalls beschlossenen Sicherheitspakets als Reaktion auf brutale Überfälle in den vergangenen Monaten. Dieses Paket trug die Linke im Senat ansonsten mit. "Wir halten es aber für den falschen Weg, Datenschutzhürden abzubauen", so Fraktionschef Udo Wolf zur taz.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte das Sicherheitspaket, das vor allem 200 zusätzliche Polizisten und 200 neue BVG-Sicherheitsmitarbeiter vorsieht, vor knapp zwei Wochen vorgestellt. In einer ersten Zwischenbilanz bestätigte Innenstaatssekretär Ulrich Freise am Dienstag Kritik, dass die zwischen 60 und 120 Köpfe starke sogenannte Einsatzreserve der Polizei nicht uneingeschränkt für U-Bahn-Streifen zur Verfügung stehe. Einzelne Gruppen würden immer wieder zu Sondereinsätzen abberufen. Das habe man aber nie anders dargestellt. Trotzdem ist die Polizei laut Freise deutlich präsenter auf U-Bahnhöfen als bisher.
Auf die Einsatzreserve muss die Polizeiführung vorerst zurückgreifen, weil die eingeplanten 200 neuen Beamten erst 2013 und 2014 ausgebildet sein werden. Die 200 Neuen direkt in anderen Bundesländern anzuwerben und nicht erst mindestens zwei Jahre auszubilden, hält Freise nicht für machbar: Das widerspreche einer Abmachung der Innenminister der Länder, selbst für ihren Nachwuchs zu sorgen.
Für die von Wowereit und der SPD angestrebte längere Speicherung ist es nötig, das Datenschutzgesetz zu ändern. Der Senat drängt, dass das schnell geschieht. Schon auf der kommenden Sitzung am Donnerstag soll sich das Parlament damit beschäftigen. Bis zur Neuwahl des Abgeordnetenhauses im September stehen nur noch vier Plenarsitzungen im Kalender.
Die Linkspartei hält die längere Videospeicherung nicht für sinnvoll: Für Fraktionschef Wolf ist sie "ein Placebo, das nichts bringt". Er stellte klar, dass die Änderung im Parlament noch längst nicht beschlossene Sache sei, auch wenn sich die Linkspartei im Senat nicht durchsetzen konnte. "Was der Senat sich wünscht und was das Parlament macht, sind immer noch zwei Dinge", sagte er.
Stimmt die Linkspartei nicht zu, könnte die SPD das Gesetz mit Stimmen der CDU durchbringen. "Im Grunde ist die längere Speicherung eine richtige Sache", sagte ihr innenpolitischer Sprecher Robbin Juhnke der taz, "ich wüsste nicht, was inhaltlich dagegen sprechen sollte."
Wer im öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist, fühlt sich vor allem dann sicher, wenn sich Personal oder andere Fahrgäste in den Zügen und auf den Bahnsteigen aufhalten. Das ist eines der Ergebnisse einer Untersuchung der Technischen Universität (TU) in Zusammenarbeit mit mehreren Verkehrsbetrieben zum Thema "subjektive Sicherheit", die am Donnerstag vorgestellt wird.
Zwei Jahre lang haben die Wissenschaftler vom Zentrum Technik und Gesellschaft die empfundene Sicherheit von Fahrgästen untersucht. Es zeigt sich: Die meisten Situationen, in denen sich Fahrgäste unsicher, bedroht oder einfach desinformiert fühlen, sollten durch Personal gelöst werden können - egal ob es darum geht, alternative Verbindungen zu erklären, wenn der Fahrgast die letzte S-Bahn verpasst hat, oder einen beginnenden Konflikt zu deeskalieren. Auffällig: Je kritischer die Befragten die Situation einschätzten, desto eher wünschten sie sich Personal an die Seite.
Doch der Forscher Leon Hempel betont, dass es nur mit Personal nicht getan ist: "Die Interaktion ist wichtig." Es komme also darauf an, dass das Personal ansprechbar sei und auch mal von sich aus auf Fahrgäste zugehe. Denn: "Je weniger Interaktion möglich ist, desto weniger spielt die Handlungsmöglichkeit für den Fahrgast eine Rolle." Personal oder andere Menschen, mit denen potenziell viel Interaktion möglich ist, wünschten sich die Befragten der Studie daher in kritischen Situationen häufiger als das Handy, welches wiederum vor der Infosäule rangiert. Auf dem letzten Platz folgte die Videoüberwachung.
In der Praxis kam das Personal schlechter weg als in der Theorie. "So geben die Fahrgäste sehr viel häufiger an, dass sie sich durch mehr Personaleinsatz sicherer fühlen würden, als sie dies bei einem realen Einsatz dann tatsächlich empfinden", heißt es in der Studie. Die Wissenschaftler führen das darauf zurück, dass die Sicherheitskräfte bei einem Teil der Fahrgäste ein schlechtes Image hätten. Fahrgäste, die Sicherheitspersonal negativ beurteilten, fühlten sich durch dessen Anwesenheit nur halb so oft sicherer wie die anderen.
"Es gibt nicht die eine Lösung, um die subjektive Sicherheit zu verbessern", sagt Hempel. Vielmehr sollten die Verkehrsbetriebe die Kreativität der Fahrgäste auch in Konfliktsituationen ausschöpfen. Zum Beispiel wäre es denkbar, dass ein Fahrgast, der eine kritische Situation beobachte, mit einem Knopf eine Videoaufnahme starte.
Auch bei der Organisation des Personals sieht Hempel Verbesserungsbedarf. S-Bahn, BVG, Landes- und Bundespolizei sowie externe Sicherheitskräfte der Unternehmen müssten ihre Zuständigkeiten besser klären. Dazu komme die Rolle der Medien: Wenn sie ständig Bilder der Überfälle verbreiteten, würden sie dazu beitragen, die subjektive Sicherheit zu verringern.
sgfdsgsdf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja