Tunesiens Präsident Kais Saied: Den Kontrolleuren an den Kragen
Tunesiens Präsident hat den Obersten Justizrat des Landes aufgelöst. Letztes Jahr war er schon gegen Parlament und Regierung vorgegangen.
Nachdem Saied am 25. Juli vergangenen Jahres das Parlament suspendierte und die Regierung absetzte, hat er auch Dutzende Gouverneure und leitende Beamte aus den Ministerien und den Justizbehörden entlassen. Vor allem im Innenministerium hatten seit 2011 politische Parteien wie die moderaten Islamisten der Partei Ennahda ihre Gefolgsleute platziert. Saieds Entlassungswelle gilt vor allem Ennahda-Funktionären. Deren Nähe zu radikalen Gruppen und Terrorzellen wurde im Präsidentenpalast immer wieder als Rechtfertigung für die autoritären Maßnahmen der letzten Monate angeführt.
Für die Ankündigung der Auflösung des Justizrats wählte Saied den Vorabend eines symbolischen Jahrestags: Am 6. Februar 2013 wurde der populäre linke Politiker und Ennahda-Gegner Shokri Belaid von Unbekannten erschossen. Als wenige Monate später mit Mohammed Brahmi ein weiterer Anführer der Revolution von 2011 starb, führten spontane Massenproteste gegen Ennahda fast zu einem Bürgerkrieg. Den Jahrestag des Mordes an Brahmi hatte Saied letztes Jahr für seinen Putsch gegen das Parlament und die damalige Regierung gewählt.
Nachdem er die angebliche Unterwanderung der staatlichen Institutionen beendet habe, sei nun die Justiz an der Reihe, kritisieren Aktivisten wie Selim Kharat: „Umgeben von Sicherheitsbeamten verkündet der Präsident das Ende der Justizkontrolle. Die einzigen Institutionen, die er nicht auflösen will, sind Polizei und Militär. Sein Projekt nimmt langsam Gestalt an.“
Justiz als rechtsfreier Raum
Saied hat geschickt ausgenutzt, dass sich die seit Juli nicht mehr tagenden Parlamentarier nicht auf ein Verfassungsgericht einigen konnten. Dieses war zwar mit der Verfassung 2014 beschlossen, aber von den notorisch zerstrittenen Parteien nie eingesetzt worden. Auch viele Bürger erleben die Justiz als rechtsfreien Raum. „Es gibt praktisch kein Gerichtsurteil, das man nicht mit Geldzahlungen zu seinen Gunsten verändern kann“, bestätigt ein in Tunesien lebender deutscher Geschäftsmann.
Getragen von der Wut auf die faktische Immunität von korrupten Geschäftsleuten und Staatsbeamten verhängte Saied letzten Sommer ein Reiseverbot und Hausarrest über von der Justiz verschonte Angeklagte. Nicht gezahlte Steuern sollten die Geschäftsleute im Austausch für Straffreiheit in armen Teilen Tunesiens investieren, verkündete er.
Doch weil er bisher keine seiner Reformideen umsetzen konnte, wächst auch in den eigenen Reihen die Kritik. Im Januar schmiss Saieds langjährige Beraterin Nadia Akasha hin. Im Juli will Saied über eine Verfassungsreform abstimmen lassen. Ende des Jahres soll das Parlament neu gewählt werden.
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