piwik no script img

Türkischer Journalist zu seiner Festnahme„Nun fürchten sich die Leute vor mir“

Nach dem Putschversuch wurden dutzende Haftbefehle gegen Journalisten erlassen – darunter Bülent Mumay. Wieder frei, beschreibt er die Absurdität der Festnahme.

Istanbul am 21. Juni: Protest gegen das türkische Regime und für die Pressefreiheit Foto: dpa
Amna Franzke
Interview von Amna Franzke

taz: Herr Mumay, am Freitagabend wurden Sie aus der Haft entlassen. Wie geht es Ihnen?

Bülent Mumay: Ich mache mir große Sorgen um meine Kollegen. Es sind noch so viele in Haft, die nicht wissen, was ihnen vorgeworfen wird. Aber mir selbst geht es gut.

Gegen Sie und 41 weitere Jour­na­lis­tInnen wurde vergangenen Montag Haftbefehl erlassen. Was wurde Ihnen vor­ge­wor­fen?

Ich wurde beschuldigt, einer terroristischen Vereinigung namens Fethullah-Gülen-Organisation geholfen zu haben. Ich war geschockt, als ich das erfahren habe. Ich habe alles erwartet, aber nicht, dass mir vorgeworfen wird, Teil eines Militärputsches oder der Gülen-Bewegung zu sein. Selbst als Gülen und Erdoğan noch sehr enge Freunde waren, habe ich beide immer stark kritisiert.

Was ist seit Ihrer Verhaftung am Dienstag geschehen?

Ich wurde auf der Polizeistation in Gewahrsam genommen. Zurzeit werden Tausende Menschen verhaftet. Die Polizeistationen sind vollkommen überfüllt. Nachdem ich drei Nächte in der Polizeistation verbracht hatte, wurde ich am Freitagmorgen vor Gericht geführt, um 20.30 Uhr war ich frei.

Wie kam es zu der Entlassung?

Bild: privat
Im Interview: Bülent Mumay

39, war Online-Chef der Hürriyet. Auf Druck der Regierung musste er im Jahr 2015 die Hürriyet verlassen.

Ich habe dem Staatsanwalt gesagt, dass die Vorwürfe gegen mich nicht stimmen. Ich habe ihm meine alten Tweets, Kolumnen und Geschichten gezeigt, in denen ich die Gülen-Bewegung kritisiere. „Wie kann ich Teil davon sein?“, habe ich ihn gefragt. Ich glaube, damit habe ich sie überzeugt.

Lag Ihr Freispruch in der Hand des Gerichts?

Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, wer die Entscheidung getroffen hat, mich zu verhaften. Vor der Verhaftung, als es schon einen Haftbefehl gegen mich gab, bin ich mit meinem Anwalt zum Gericht gegangen, um herauszufinden, was gegen mich vorliegt. In der Akte, die der Staatsanwalt geöffnet hat, war nur Bullshit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein echter Richter oder Staatsanwalt diese Akte tatsächlich vorbereitet hat.

Haben Sie eine Idee, wer dahinterstecken könnte?

Nein, aber ich weiß, warum ich verhaftet wurde. Manchmal, wenn Autoritäten nichts finden, was sie einem vorwerfen können, setzen sie einfach deinen Namen auf eine Liste, um ihn zu beschmutzen. Die Regierung mag nicht, dass ich Stellung gegen sie beziehe. Seit 18 Jahren arbeite ich als kritischer Journalist für große Medienhäuser. Sie haben auf einen Vorwand gewartet, um meinen Namen auf ihre Liste zu schreiben.

Wie geht es den anderen inhaftierten JournalistInnen?

Wie es aussieht, müssen sie mehrere Monate in Haft bleiben, bis zum Prozess. Ich hoffe, sie werden entlassen. Ich habe sie erst auf der Polizeistation kennengelernt, aber ich bin mir sicher, dass die meisten unschuldig sind.

Glauben Sie, die Regierung hat eine Agenda, die sie verfolgt?

Am 15. Juli erlebte die Türkei eine ihrer furchtbarsten und brutalsten Nächte. Der Regierung gelingt es nicht, die Kräfte, die dahinterstehen, zu bekämpfen. Ich weiß nicht, ob es eine geheime Strategie gibt. Soweit ich es verstehe, versucht die Regierung, andere Gruppen da mit hineinzuziehen. Aber sie ist nicht sorgfältig. Die Regierung handelt nicht demokratisch.

Wie geht es für Sie weiter?

Ich versuche jetzt, einen Job zu finden. Das ist nicht leicht, mein Foto wurde in den letzten Tagen immer wieder im Fernsehen gezeigt. Eine Tageszeitung hat es sogar auf Seite 1 gedruckt, darüber stand in großen Buchstaben „Wanted“. Nun fürchten sich die Leute vor mir.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!