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Türkische Militäroffensive in NordsyrienBei Protesten darf es nicht bleiben

Ronya Othmann
Kommentar von Ronya Othmann

Der Einmarsch in Nordsyrien darf nicht nur auf der Agenda linker Parteien und Organisationen stehen. Die Situation der Menschen dort geht uns alle an.

Seit Beginn der türkischen Militäroffensive gab es in vielen deutschen Städten Proteste Foto: Fabian Strauch/dpa

D ie Katastrophe, vor der gewarnt wurde, hat schon längst begonnen. Türkische Truppen haben die syrische Grenze überquert, erste Ziele wurden bombardiert. Mittlerweile hat es etliche Tote und Verletzte gegeben. Die Folgen sind klar: humanitäres Desaster, Destabilisierung der Region und Wiedererstarken des IS. Dieser Krieg betrifft in erster Linie die Menschen in Rojava, hat aber auch Folgen für Europa. Die Zeit des Warnens und Verurteilens ist vorbei. Jetzt muss gehandelt werden.

Flugverbotszone, die Nato-Mitgliedschaft der Türkei sollte mit sofortiger Wirkung eingefroren werden und die UN müssen Blauhelm-Soldaten im Grenzgebiet stationieren.

Seit Beginn der türkischen Militäroffensive gab es in vielen deutschen Städten Proteste. Vor allem AkteurInnen der kurdischen und deutschen Linken haben diese Proteste organisiert. Das ist gut so. Aber allein bei Protesten darf es nicht bleiben. Werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt, geht das alle etwas an. Auch konservative PolitikerInnen und die bürgerliche Mitte.

Solidarität gilt der multiehnischen Zivilbevölkerung

Der Einmarsch in Rojava, der Krieg gegen die Zivilbevölkerung, darf nicht nur auf der Agenda von linken Parteien und Organisationen stehen. Egal wie man politisch zu der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien steht, ob man ideologisch mit der YPG übereinstimmt oder nicht – Solidarität gilt der multiethnischen Bevölkerung im Norden Syriens.

Die deutsche Zivilgesellschaft muss Druck auf die Politik ausüben, das gilt auch für die türkischen Communitys. Die YPG hat längst angekündigt, sich zehn Kilometer von der Grenze zurückziehen zu wollen, wenn gleichzeitig eine international überwachte Pufferzone im Grenzgebiet errichtet wird. Erdoğan hat dieses Angebot nicht angenommen. Der Einmarsch in Rojava ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg eines Nato-Mitglieds und sollte höchste Priorität für alle politischen Parteien in Deutschland haben.

Hier geht es darum, eine Rückkehr des IS und die Vertreibung von hunderttausenden Menschen zu verhindern, eine ethnische Säuberung zu stoppen und Menschenleben zu retten. Die deutsche Zivilgesellschaft muss Druck auf die Politik ausüben. Auch die türkischen Communities in Deutschland, die – bis auf ein paar einzelne Akteure – schweigen oder die ethnische Säuberung lautstark begrüßen.

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Ronya Othmann
Kolumnistin
Kolumnistin, Autorin, Lyrikerin und Journalistin. Schreibt zusammen mit Cemile Sahin die Kolumne OrientExpress
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8 Kommentare

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  • „ Solidarität gilt der multiehnischen Zivilbevölkerung“

    „Amnesty wirft Kurdenmiliz Vertreibungen vor - Sie sollen Dörfer niedergerissen und Tausende Zivilisten vertrieben haben - nach Ansicht von Amnesty International könnte die syrische Kurdenmiliz YPG Kriegsverbrechen begangen haben.“ www.spiegel.de/pol...vor-a-1057463.html

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      Da mussten Sie also einen vier Jahre alten Artikel ausgraben, um etwas gegen die Kurden in die Hand zu bekommen. Glückwunsch.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    “We, as Israelis and Jews, must not stand by when we see another nation abandoned by its allies and left defenseless,”

    Aus einer Petition von Reservistinnen und Reservisten der IDF. Sie rufen dazu auf, die Kurden militärisch und humanitär zu unterstützen.

    Das wird natürlich kaum passieren, aber ist eine große Geste.

    www.jpost.com/Isra...-help-Kurds-604235

  • "... etliche Tote und Verletzte gegeben."



    Das "etliche" bezieht sich wohl nur auf Zivilpersonen, aber es wird von immerhin 200 getöteten YPG-Kämpfern (natürlich alles "Terroristen") berichtet.



    Da zeigt sich auch die brutale Nebenabsicht des türkischen Aggressors : Die reine Zahl der kurdischen Menschen, ob als Kämpfer oder Zivilisten, soll in dieser Region reduziert werden, damit dort arabischstämmige ansiedelt werden können.

    Diese Kurden haben die personellen Opfer des Kampfes gegen die IS-Terroristen ganz alleine getragen und somit die weltweite Bedrohung durch diesen Islamischen Staat zunächst beseitigt. Durch ihre selbstlose Hilfe für die Yessiden und durch die selbstbewussten Rolle kurdischer Frauen hat die YPG auch gezeigt, dass sie den aufgeklärten Grundsätzen der UN-Charta näher steht als das NATO-Mitglied Türkei, dessen Präsident sich anschickt, als Aggressor, territorialer Annektierer und ethnischer Säuberer auftreten.

    Da muss man sich nicht wundern, dass Assad so seltsam still ist, wenn das auch von ihm immer noch beanspruchte Staatsgebiet Syriens eben mal angegriffen wird. Dass Russland, Iran, Irak und andere Machthaber des Nahen Ostens ebenfalls laut schweigen, ist nicht verwunderlich, denn schließlich passen die Kurden weder in ihre Landkarte noch in ihr Staatsverständnis.



    Hoffen sie alle schon auf eine elegante Lösung ihrer eigenen Kurdenfrage durch diesen türkischen Einmarsch ?

    Von einem Generalsekretär der NATO hätte man allerdings erwarten dürfen, dass er nicht wortlos daneben steht und dann einen langen innigen Händedruck austauscht, wenn der neue Sultan von einer bevorstehenden Aggression der YPG gegen die Türkei erzählt. Auch das Wort "Völkerrechtsbruch" kommt offenbar im Vokabular des Norwegers nicht vor, der sonst ohne Ende sein Urteil über Aggressionen der Welt mitteilt.

  • „Die deutsche Zivilgesellschaft muss Druck auf die Politik ausüben, . . .“



    Die Erfahrung, die wir in den letzten Jahren gesammelt haben, lässt mich zweifeln, ob das etwas bringt. Wer könnte Erdoğan daran hindern, sich in fremdem Gebiet auszubreiten, wenn die Weltöffentlichkeit nicht in der Lage war, Putin an der gleichfalls völkerrechtswidrigen Annexion der Krim zu hindern? Erdo hat sicher mit Interesse wahrgenommen, dass alle Sanktionen gegen Russland nichts genützt haben und neuerdings die Forderungen nach „Normalisierung“ der Beziehungen immer lauter werden – ohne dass Putin die Annexion der Krim rückgängig gemacht hätte.



    Übrigens hat vor 1 Monat ein gewisser B. Netanjahu seine Pläne zur Annexion des Jordantals öffentlich gemacht. Erinnert sich noch jemand? Der weltweite Protest war riesengroß – und das war’s auch schon!



    „Aussitzen“ heißt das Zauberwort! E. wird es tun und weitere Staaten werden Putins Beispiel folgen und sich Territorien einverleiben, die ihnen nicht gehören. Und keiner wird sie daran hindern!

  • Wer ist für die Region zutändig?



    Die Syrische Regierung! Leider wird die immer noch durch EU Sanktionen behindet ihrem Auftrag durch die Bevölkerung nachzukommen. Syrien war schon lange vor den Uruhen ein multiethnischer Staat, und die Kämpfe wuren durch externe Mächte (u.A: Türkei) gesponsort. Also Aufhebung der Sanktionen und Gespräche zwischen Kurden und Zentralregierung. Dann Verteidigt auch die syische Armee die Grenze.

  • Erdogans Wünsche, die Kurden zu stigmatisieren, wurden in der EU und insbesondere in Deutschland, zuvorkomend bedient. Da ist es kein Wunder, dass die politische Mitte offensichtlich davon ausgeht, dass Kurden immer links und sogar terroristisch sind und man mit ihnen nichts am Hut hat. Kommt dann auch noch raus, dass sich Kurden in Nordsyrien demokratisch organisiert haben, wird das Misstrauen noch größer.



    So konnte sich in Deutschland eine faschistoide, kurdenfeindliche türkische Parallelgesellschaft bilden mit Bespitzelungen der Kurden und einem "Meldesystem", das an Blockwarte erinnert. Und die türkischen Mitbürger, die durchaus das Leid der Kurden anerkennen, halten sich zurück, weil für sie ein öffentliches Eintreten für Menschenrechte in den Kurdengebieten schlimme Folgen haben kann.



    Es gibt in Deutschland nicht nur deutschnationale Rechte und Nazis, die gibt es in der sogen. türkischstämmigen Community ebenfalls, unterstützt vom türkischen Geheimdienst. Die bringen zwar hier niemanden um, begrüßen aber jedwede Verfolgung kurdischer Menschen, die sich für mehr Autonomie und weniger Unterdrückung einsetzen. Und wenn mal wieder die türkische Armee ganze kurdische Dörfer, Stadtteile oder Städte nieder macht und Kurden sich zur Wehr setzen, dann heißt es schnell, dass die Kurden Terroristen sind.



    Die Kurden werden keine Hilfe durch Länder der EU erwarten können. In Deutschland wird ein wenig kritisiert. Ach, die armen Menschen. Ach, wieder mehr Flüchtlinge.



    Ach, wie schade.....

    • @Rolf B.:

      „ Erdogans Wünsche, die Kurden zu stigmatisieren, wurden in der EU und insbesondere in Deutschland, zuvorkomend bedient.“

      Was Sie meinen ist die terroristische PKK. Soll ich für Sie die zehntausende an Toten nennen, die die PKK zu verantworten hat? de.wikipedia.org/w...Türkei_und_der_PKK Die Gleichsetzung von Kurden und PKK ist zudem unverschämt.