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Türkis-grüne Koalition in ÖsterreichResignation wäre reaktionär

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Die Grünen haben sich für die Koalition mit dem Rechtspopulisten Sebastian Kurz verbiegen müssen. Nur: Die Alternativen wären noch schlimmer.

Partner wider Willen: ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und sein grüner Vize Werner Kogler Foto: ap

A ls ich vor dreißig Jahren viel mit Bürgerrechtlern und Dissidenten in der DDR zu tun hatte, hörte ich gelegentlich den Satz: „Und wenn wir dann mal das Land verlassen durften, waren wir plötzlich viel bessere DDR-Bürger als daheim.“ Soll heißen: Daheim hat man die Diktatur, die alten Männer an der Macht und die stickige Atmosphäre im Land mit den schärfsten Formulierungen kritisiert, im Ausland aber dann doch das eigene Land gegen allzu klischeehafte Schwarz-Weiß-Malerei (oder korrekter: Schwarz-Malerei) in Schutz genommen.

Ein bisschen ähnlich geht es mir neuerdings mit unserer Koalition in Wien, die vom konservativen Rechtspopulisten Sebastian Kurz und den Grünen um Werner Kogler gebildet wurde. Türkis-Grün, oder wie man bei uns auch sarkastisch sagt: „Orban Gardening“. Ja, klar, die Grünen haben sich massiv verbiegen müssen und viele Kröten geschluckt. In der Migrations- und der Integrationspolitik herrscht weiter die „Grenzen hoch, Ausländer raus“-Rhetorik vor – und nicht nur Rhetorik, sondern auch die entsprechenden Regierungspraktiken. Zugleich ist es nun aber eben so, dass die ÖVP 37 Prozent der Stimmen bei den Wahlen ergatterte und mit den extremen Rechten eine satte Mehrheit im Parlament hätte.

Da ist eine Mitte-rechts-Koalition unter Ein­schluss der Grünen ganz einfach das „kleinere Übel“. Schwer zu sagen, ob die Grünen mehr rausholen hätten können oder ob sie ein bisschen oder sehr über den Tisch gezogen worden sind. Lustig ist die Situation für sie nicht, und da begegne ich ihnen einmal mit der wohlmeinenden Annahme, dass sie sicher ihr Bestes gegeben haben. Aber vielleicht tue ich das nur, weil ich die meisten der Akteure mag.

Ich lehne wohl rund siebzig oder achtzig Prozent von all dem, was im Regierungsprogramm festgeschrieben ist, ab. Und wenn ich diese zynischen, menschenverachtenden Figuren der ÖVP-Regierungsmannschaft nur sehe, bekomme ich schon Ausschläge. Und doch habe ich wie die DDR-Bürger im Ausland den Reflex, das alles einmal zu verteidigen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Bettina Gaus hat in dieser Zeitung vor ein paar Wochen einen sehr gescheiten Kommentar geschrieben, in dem sie anschaulich zeigte, wie oft wir rein gefühlsbetont unsere Urteile treffen. Sogar dann, wenn wir in Höchstmaß informiert und gut begründet argumentieren, steht am Ausgangspunkt unserer Argumentation zunächst einmal eine Gefühlsentscheidung. Wir können über Barack Obamas Fehler Bescheid wissen und die auch benennen, wenn wir in unserem Urteil aber dann begründen, dass seine positiven Seiten die negativen Seiten massiv überwiegen, dann auch deshalb, weil er uns einfach sympathisch ist. Wem er weniger sympathisch ist, der wird bei dieser Bilanzrechnung zu anderen Ergebnissen kommen. Ich finde, das ist gut beobachtet.

Die schiefe Ebene

Wir haben so viele Gefühle, wir wissen gar nicht wohin mit ihnen. Manche Linke – auch in Deutschland und auch anderswo – haben das Gefühl, dass alles nur mehr schlechter wird, das politische System und die politische Kultur wie auf einer schiefen Ebene immer mehr abrutscht und ins Negative schlägt. So dass man sich damit zufrieden geben muss, das „Schlimmste zu verhindern“.

Also selbst in Deutschland empfinden das sicher genügend Leute, dabei ist Deutschland verglichen mit Ungarn, Österreich, Italien, Groß­britannien ja noch eine Insel der Seligen. Wenn man das politisch so „empfindet“, dann ist das keine reine, bloße Empfindung, sondern sie kann genügend Indizien formulieren, die dieses Urteil stützen. Aber das hat dann wieder „emotionale Folgen“. Es wird sich eher kein Optimismus verbreiten, sondern viel eher politische Depression.

Und jetzt, um retour zu kommen, stellen Sie sich einmal vor, wie es uns in Österreich geht. Die Grünen, die mit 14 Prozent in diese Regierung gehen und einem fiesen, aggressiven, mächtigen Regierungspartner ausgeliefert sind. Ein politisches Klima, das als Folge jahrelanger populis­ti­scher Überbietungswettbewerbe „rechtsblau versifft“ ist. Dazu eine Sozialdemokratie, die in Umfragen im Sturzflug und seit Monaten nicht in der Lage ist, sich zu stabilisieren. Da haben nicht wenige das Gefühl, dass alles permanent bergab geht und die Grünen sich mit diesem Deal auch noch das Rückgrat gebrochen haben.

Dennoch finde ich, Depression zu verbreiten ist noch lange keine linke Kritik – in diesem Fall nicht und auch in keinem sonstigen. Denn ganz generell gilt: Resignation wird nicht gerade jene Energien stärken, die nötig wären, die gerade nicht besonders rosigen Umstände zu verändern. Besser wäre es, die Umstände zur Kenntnis zu nehmen und nach den Chancen zu suchen, wie diese in Trippelschritten verbessert werden können. Zarte Pflänzchen für Optimismus – bitte hegen! Pessimismus hat ja, wie wir wissen, noch nie etwas zuwege gebracht. Resignation ist reaktionär.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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8 Kommentare

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  • Die Ösi-Grünen rechtfertigen die Koalition v.a. mit den anspruchsvollen Klimaschutzzielen in dem Regierungsprogramm. Dummerweise sind die konkreten Massnahmen zur Zielerreichung groesstenteils im unbestimmten gelassen worden. Ich haette an der Stelle wohl laenger verhandelt, bis das praezisiert ist. Der Einstieg in die Moalition ist dann vielleicht auch kein Fehler, wenn die feste Entschlossenheit besteht, das bald nachzuholen. Dann sollte aber nach ca. einem Jahr Zwischenbilanz gezogen werden, ob sich mit der ÖVP etwas durchbringen laesst, oder ob sie blockiert, und waere ggf. die Reissleine zu ziehen. Die Westerwelle- FDP hatte in aehnlicher Situation nichts durchgesetzt, nicht die Reissleine gezogen und wurde in die ausserparlamentarische Opposition verbannt.

  • Resignation ist nicht reaktionär, solange sie nicht zur Übernahme einer reaktionären Position führt.



    Reaktionär und antiaufklärerisch empfinde ich eher diesen Kommentare, den ich so zusammenfassen würde:

    Wer an der Sinnhaftigkeit dieser Koalition zweifelt, der verbreitet Depressionen. Optimismus ist nun erste Bürgerpflicht! Alles andere ist reaktionär.

    Mit anderen Worten: Wenn das Denken zu unangenehmen Ergebnissen führt, dann lass es und versuch's mit positiven Gefühlen. Auch kleine Schritte sind besser als Stillstand - egal in welche Richtung.

    • @pitpit pat:

      Tippfehler: diesen Kommentar*

  • Kurz hat für jede Gesellschaftsgruppe irgendein Bonbon ins Programm geschrieben. Interessantes Konzept, da es für den Mainstream keine Mehrheit mehr gibt, macht man jeder Gruppe - nicht nur Schwarzen und Grünen - ein Geschenk. Am Ende könnte die Mehrheit das als benevolenten Autoritarismus bewerten. Die Grünen werden Unzufriedene und Linke vor allem in Wien und Graz verlieren, so diese nicht taktisch wählen. Ihre Chance besteht darin, sich auf dem Land, wo sie durchaus Rückhalt haben, aber man ihre linke Radikalität fürchtet, als pragmatische moderne ökologische Erneuerungspartei zu etablieren. Die Landbevölkerung denkt ökologisch, nicht radikalökologisch, aber doch naturbezogen. Dazu müssen sie regional auf die Leute zugehen und gute Konzepte liefern.

  • Es gibt in Österreich durchaus linke Kräfte, die die persönliche von der strukturellen Ebene trennen können und zu einer anderen Einschätzung als Robert Misik kommen. Das Problem dieser Regierung, jenseits ihres Personals, ist Folgendes: (1) Der Nexus zwischen den von der FPÖ übernommenen rassistischen Letigitmationspolitiken und einer neoliberalen Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen, die so verdeckt werden kann, ist ungebrochen. (2) Die Sorte Klimapolitik, die in dieser Koaliton zugelassen wird, ist keine sozial-ökologische Transformation, sondern eine kapital-ökologische, d.h. eine Form der kapitalistischen Modernisierung, in der Milliarden in Form von Konzern-Förderungen, Kapitalsteuerentlastungen etc. an die hochkonzentrierten Kapitaleigentümer ausgeschüttet werden, während ein höchstwahrscheinlich kommender nationaler Emissionshandel anstelle einer CO2-Steuer die Interessen der Industrie und Finanzmärkte bedient: "Green Capitalism" zum Schaden echter sozioökonomischer und ökologischer Alternativen und zum Schaden eines 1,5 Grad-Pfades, der so nicht erreichbar ist. (3) Der politische Effekt der grünen Regierungseinbindung ist gerade die Depolitisierung und Demobilisierung radikalerer Transformationsprojekte, vor denen Industrielle, Banken, Versicherungen tatsächlich Angst haben, weil sie die Systemfrage stellen. Es handelt sich also ingesamt um eine Kooptierungsstrategie, deren Gefahren die Chancen weit überwiegen. Umso wichtiger wird der politische Kampf um Alternativen außerhalb des Parlaments.

  • "Orban Gardening"

    Das in zwei Worte gefasste Grauen.

    Selzen war ich von einem Begriff so fasziniert uund entsetzt zugleich.



    Und doch drückt es so treffend die zarte Chance eines Neuanfanges aus.

    Die einzig erscheinende Möglichkeit da etwas zu stoppen und umzulenken.

    Hoffentlich klappts. Das werden wir erst in ein paar Jahren sehen können.

    Danke für diesen Begriff.

  • Kurz ist schlicht ein Politiker, der an das Machbare glaubt, der Kompromisse - bis zu einer bestimmten Grenze - sehr positiv bewertet, sozusagen ein sehr beweglicher und sehr kontrollierter Modernisierer. Kein Grund die Grünen zu bemitleiden.

    • @Monika Frommel :

      Kurz hat staendig betont, den Gruenen im Klimschutz entgegenzukommen. Durchgesetzt haben sie vor allem Ueberechriften, aber wenig konkretes. Ausser den 1-2-3-Euro pro Tag Jahreskarten, aber das ist mehr Klientelpolitik und lockt kaum einen Autofahrer als Gelegenheitsnutzer oefters in die Öffentlichen.



      Anspruchsvoll sind noch die Ziele fuer erneuerbare Energien, da kann man ja mal Ende 2020 Zwischenbilanz ziehen, wie viel von der ersten Jahrestranche zu 2,7 TWh/a geschafft worden sind.