Türkei und Armenien: Hrant Dink lebt
In Istanbul haben tausende Menschen des ermordeten Menschenrechtlers gedacht. Derweil nähern sich die Türkei und Armenien immer weiter an.
Der armenisch-stämmige Hrant Dink war in den Jahren vor seiner Ermordung die führende Figur gewesen in der Debatte um die Aufklärung am Völkermord an den Armeniern 1915. Bis heute bestreitet die türkische Regierung wie alle ihrer VorgängerInnen, dass während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich ein Völkermord an den Armeniern verübt wurde. Bis heute ist es für türkische Nationalisten eine Frage der Loyalität, den Völkermord abzustreiten und Leute wie Hrant Dink, die eine ehrliche Debatte über die Vergangenheit fordern, als Volksverräter abzustempeln.
Dink wurde damals von einem jungen Mann, den andere vorgeschickt hatten, ermordet. Wer bei dem Mord tatsächlich die Fäden zog, ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Doch die Debatte konnte durch den Mord nicht beendet werden, im Gegenteil: Die Witwe Rakel Dink, die während der Gedenkveranstaltung am Mittwoch eine bewegende Rede hielt, hatte noch im Jahr des Mordes gemeinsam mit Freunden eine Hrant-Dink-Stiftung gegründet, die die Erinnerung an die Armenier in der Türkei wiederbelebt und sich mit viel Engagement für eine Aussöhnung zwischen den Menschen in der Türkei und Armenien einsetzt.
Die Stiftung hat mittlerweile durch Spenden die Möglichkeit genutzt, eine alte armenische Schule zu renovieren und umzubauen, und dort eine Bibliothek und Seminarräume eingerichtet. Auch Agos ist in dieses Gebäude umgezogen. In den früheren Räumen der Redaktion hat die Stiftung nun ein kleines Museum zu Hrant Dink und armenischem Leben in Istanbul eingerichtet. In gewisser Weise ist dies das erste Museum zum Völkermord an den Armeniern in der Türkei.
Wandel durch Annäherung
Auch wenn es für die knapp 100.000 Armenier, die heute noch in der Türkei leben, immer wieder schwierige Zeiten gibt wie zuletzt während des Krieges um Bergkarabach im Herbst 2020, ist die Hetze und Diskriminierung doch insgesamt zurückgegangen. Selbst in der Phase massiver innenpolitischer Repression nach dem Putschversuch im Sommer 2016 konnte die Hrant-Dink-Stiftung weitgehend ungestört arbeiten, während viele andere NGOs verfolgt oder sogar geschlossen wurden.
Selbst der Krieg um Bergkarabach, bei dem die Armenier nicht zuletzt wegen der türkischen Unterstützung von Aserbaidschan eine schwere militärische Niederlage erlitten, könnte langfristig noch etwas Gutes haben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan war anschließend bereit, mit Armenien Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen zu führen – ein Angebot, für das sich die Armenier per Parlamentswahl im Herbst 2021 aussprachen.
Beide Seiten ernannten jeweils einen Sondergesandten, der die Gespräche führen wird. Der Auftakt fand vor gut einer Woche in Moskau statt. Man beschloss die Gespräche demnächst auch ohne russische Vermittlung fortzusetzen.
Auch wenn es den Armeniern schwerfällt, mit der türkischen Regierung zu reden, ohne dass diese den Völkermord zuvor anerkennt, könnte ein Wandel durch Annäherung Fortschritte bringen. Die Grenze zwischen beiden Ländern würde geöffnet, die armenische Wirtschaft hätte eine bessere Verbindung nach Europa und die Menschen könnten endlich miteinander statt übereinander reden. Und vielleicht werden dann ja auch die Hintermänner des Mordes an Hrant Dink endlich vor Gericht gestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen