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Türkei stoppt Khashoggi-ProzessBitte nicht stören

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdogan nutzte den Mord an Jamal Khashoggi von Anfang für eigene Zwecke. Nun wurde er eingestellt – um das saudische Königshaus zu befrieden.

Das war's: Die Verlobte von Khashoggi verlässt am Donnerstag das Istanbuler Gericht Foto: Murad Sezer/reuters

E in Istanbuler Gericht hat am Donnerstag den Prozess wegen der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi eingestellt. Auch wenn dafür prozesstechnische Gründe angeführt wurden: Tatsächlich folgt diese Entscheidung wohl politischen Anweisungen aus Ankara. So wie die Eröffnung des Prozesses vor zwei Jahren vor allem eine politische Demonstration war, ist auch die Einstellung nun nichts anderes als ein Signal an den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.

So unfassbar die Ermordung von Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul im Oktober 2018 war, der türkische Präsident Erdoğan sah in dem Mord von Beginn an nicht nur ein Verbrechen an einem politischen Verbündeten, sondern auch eine Gelegenheit, den von ihm politisch aufs Schärfste bekämpften saudischen Kronprinzen an den Pranger zu stellen. Dabei ging es nie um Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Gerechtigkeit, es ging und geht um die Vormachtstellung im Nahen Osten. Erdoğan hatte mit dem saudischen Königshaus gebrochen, nachdem dieses den Putsch des ägyptischen Generals al-Sisi gegen den damaligen ägyptischen Präsidenten Mursi finanziert hatte.

Mursi war nach dem Sturz des Langzeitpräsidenten Mubarak als Vertreter der politisch mächtigsten Oppositionsgruppe, der Moslembrüder, zum Präsidenten Ägyptens gewählt worden. Für Erdoğan, der Mursi tatkräftig unterstützt hatte, war es sein größter außenpolitischer Erfolg – und der Sturz Mursis seine größte Niederlage. Zwischen der Türkei und Saudi-Arabien begann eine Eiszeit, in der Erdoğan den Mord an Khashoggi für sich nutzen konnte.

Mittlerweile hat sich die politische Großwetterlage wieder gedreht. Die Türkei schickt gerade wieder einen Botschafter nach Ägypten, hat sich mit den Golfstaaten ausgesöhnt und will nun auch mit den Saudis wieder ins Geschäft kommen. Erdoğan will in absehbarer Zeit nach Riad reisen, da würde die „alte Sache“ mit Khashoggi nur noch stören.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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3 Kommentare

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  • Wenn die Justiz von egomanischen Autokraten kontrolliert wird ist sie keine Justiz mehr, sondern ein schlechter Witz. Leider gilt der Justizwitz aber auch, wo angeblich keine bösen Führer die Justiz als ihr Spielzeug betrachten. Siehe Assange (Schweden, UK, USA), siehe Julian Hessenthaler (Österreich) und von uns in Brasilien red ich gar nicht, denn wir haben zwar jede Menge Justizbehörden, aber Justiz hatten und haben wir nie. Mit oder ohne den Bolsonazi.

  • ein unerhörter Vorgang.



    diese Diktaturen müssen alle beide weg!

  • Na sowas. Ein plötzlicher Richtungswechsel um 180 Grad. Ob da eventuell eine E-Mail mit einem bestimmten Inhalt an eine bestimmte Adresse eine Rolle gespielt hat? ;-)