Türkei-Diskussion in Kunst-Akademie: Nicht alle wissen, was sie tun
Çetin Güzelhan, Sevgi Özdamar und Cem Özdemir diskutieren in Berlin mit einem autochthonen Kulturdeutschen auf der Bühne und ernten gepflegtes Desinteresse.
Die Städte Istanbul und Berlin sind, mal begeistert, mal pragmatisch, eine enge Verbindung eingegangen. Ihre Städtepartnerschaft währt bereits 20 Jahre. Zudem ist Istanbul dieses Jahr zur europäischen Kulturhauptstadt erklärt worden. Ein weiterer kleiner Schritt hin zur Aufnahme der Türkei in die EU. Man will das Riesenland zwischen Orient und Okzident kennenlernen, integrieren, akzeptieren. Doch zuvor gilt es eine Menge kultureller Missverständnisse auszuräumen.
Diese zeigten sich auch am Freitag bei der Diskussionsrunde "Urbane Ungleichzeitigkeiten" in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg. Sie fand im Rahmen der Ausstellungen "Istanbul Next Wave" statt. Der Kurator Çetin Güzelhan hat an drei verschiedenen Orten türkische Kunst des vergangenen Jahrhunderts präsentiert, dazu aktuelle Positionen. Aus der Geschichte wird die Gegenwart erklärt und so eine andere Perspektive gewonnen. Denn das Bild Westeuropas von der Türkei ist doch zumeist verengt auf die Stichwörter "Islam" und "Demokratiemangel".
Ein Missverständnis allerdings präsentierte sich schon vor der Akademie, vor der Halil Altindere, einer der Künstler, einen aufs Dach gedrehten Polizeiwagen aufgestellt hat. Abgesehen davon, dass der Wagen - infolge der Auflagen der Polizei - sehr liebevoll umgedreht wurde, wirkt ein umgedrehter Polizeiwagen an dieser Stelle, nur wenige Kilometer vom Schauplatz der alljährlichen Kreuzberger Maikrawalle entfernt, eher niedlich denn herausfordernd. So zeigt sich, dass Altindere, der vorhatte, den autoritären Charakter der Deutschen zu ironisieren, nicht unbedingt wusste, wo er dies tat.
Zugleich allerdings zeugt sein Kunstwerk - so wie die vieler anderer in der Ausstellung - davon, dass er gewillt war, sich mit dem Ort, an dem er ausstellt, zu beschäftigen. Er wollte, anders als manch anderer, zu den Leuten sprechen, nicht nur sein Land repräsentieren. Güzelhan, der Kurator, freute sich denn auch auf dem Podium der Diskussionsrunde, dass es gelungen sei, in der Ausstellung Künstler miteinander ins Gespräch zu bringen, die sich in Istanbul nicht unterhielten. Über die Fremde fände die Türkei zu sich selbst.
Die Runde, an der zudem Emine Sevgi Özdamar und Cem Özdemir teilnahmen, wurde indes geprägt durch die Fragen des Moderators Harald Asel, der sich, da Johannes Odenthal erkrankt war, als einziger Kulturdeutscher begriff, auch wenn er sich sichtlich mühte, in Özdemir zunächst einmal den Deutschen, dann erst den Sohn türkischer Einwanderer zu sehen.
Dabei präsentierte Özdemir, der sich ganz schwäbisch als "Wessi" in Berlin versteht, eindrücklich den deutschen Blick auf die Türkei, die er als Fremde wahrnahm, als Kind auf den Reisen der Eltern. Özdemir nahm die Vermittlerrolle an und erklärte immer dann, wenn Asel durch seine Fragen indirekt die Rückständigkeit der Türkei wie ihrer Kunstszene apostrophierte, dass es einen Unterschied gebe zwischen der türkischen Nation und der Szene in Istanbul.
Emine Sevgi Özdamar, heutige Fontanepreisträgerin und frühere "Gastarbeiterin", erklärte die Wechselwirkung von deutscher und türkischer Kultur. In der Zeit des Militärputsches, also nach 1971, hätten ihr die "Worte von Brecht" geholfen klarzukommen. Sie hätten ihr gezeigt, dass es eine "Utopie auch für die Türkei" gebe. Heute wäre Istanbul für sie befremdlich, die quirlige Metropole erinnere sie kaum noch an die beschauliche Millionenstadt der 1960er-Jahre.
Asel nahm dies wie das größtenteils deutschstämmige Publikum gleichgültig zur Kenntnis. Eine Diskussion wollte nicht aufkommen. Man schien sich schon vorher einig: "Wir" sind der Türkei dreißig Jahre voraus, und das wird so bleiben. Immerhin aber hat die Türkei eine Chance und Kultur ist doch ganz schön. Auf einer solchen Basis lässt sich nicht diskutieren, und Özdamar, Güzelhan und der ganz auf seine "Herkunft" zurückgeworfene Özdemir schienen dementsprechend gelangweilt. Sie scheinen solche Runden aber längst gewohnt zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich