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Türkei Die erste Woche der Anhörung von 17 Mitarbeitern der Zeitung Cumhuriyetist zu Ende. Für viele Beobachter war es ein SchauprozessEin Prozess für den Müll

von Ali Çelikkan und Erk Acarer

Der erste Prozesstag fiel auf den Jahrestag der Aufhebung der Pressezensur in der Türkei. Jedes Jahr wird der 24. Juli als „Tag der Pressefreiheit“ gefeiert. Der amtierende Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu ließ es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen, per Tweet „den Journalisten, die der Wahrheit auf der Spur sind“, zu gratulieren.

Zur selben Zeit standen 17 Jour­na­list*innen der ältesten Zeitung des Landes, der Cumhuriyet, vor Gericht im Justizpalast von Istanbul. Fünf Tage lang wurde ein Prozess geführt, den der Verteidiger Duygun Yarsuvat vor den Richtern als „Feindjustiz“ bezeichnete. Fünf Tage lang wurde ein Prozess geführt, den viele Beobachter als Schauprozess gegen den Journalismus und die Pressefreiheit werten.

Perle der Verteidigung

Musa Kart, Karikaturist der Cumhuriyet(festgenommen am 3. Oktober 2016)brachte mit seiner Verteidigungsrede am ersten Prozesstag den halben Saal zum Lachen, indem er einen „Beweis” näher beleuchtete: „Ich wollte einen Bodrum-Urlaub buchen und habe dafür eine bekannte Reiseagentur kontaktiert, die immer ganzseitige Werbeanzeigen schaltet. Nun wird mir dieses Telefonat als Beweis für meine „Kommunikation mit Terrororganisationen” vorgelegt. Ich hatte mir drei Tage Meerblick in Bodrum erhofft und habe neun Monate Betonblick in Silivri bekommen. Das kann ich auf keinen Fall als Reservierungsfehler durchgehen lassen!” Musa Kart, der seine gesamte Rede über die von Erdoğan häufig benutzte lang gezogene Anredeform „EEEY!” wiederholte, beendete die Rede mit den Worten: „EEEY, Gewissen!”

Die Cumhuriyet-Mitarbeiter, von denen die meisten bereits seit neun Monaten in Untersuchungshaft sitzen, haben die gesamte Woche über ihre Verteidigungen vorgetragen. Die Anklagepunkte gegen sie lauteten: „Rechtswidrige Übernahme des Vorstands der Cumhuriyet-Stiftung“, „Veränderung der Redaktionslinie“ und „Publikation von Nachrichten und Texten, die der Unterstützung der bewaffneten Terrororganisationen FETÖ, PKK und DHKP-C dienen“.

Tweets als Beweismittel

Die Beweismittel, die diese Anklageschrift stützen sollten, bestanden aus publizierten journalistischen Texten, Tweets, der Dokumentation von angeblich „zweifelhaften“ Veränderungen in der Buchhaltung der Zeitung sowie Zeugenaussagen von Ex-MitarbeiterInnen der Zeitung und von der Regierungspartei AKP nahestehenden Personen.

“Früher waren Journalisten Zeugen ihrer Zeit. Heute sind sie Zeugen im Prozess gegen die eigenen Kollegen.“

Murat Sabuncu

Die Journalisten Hikmet Çetinkaya, Kadri Gürsel und Ahmet Şık, die viele Jahre lang über die Beziehungen zwischen der AKP-Regierung und der Gülen-Bewegung geschrieben und vor deren Konsequenzen gewarnt haben, wurden wegen „Unterstützung der Terrororganisation FETÖ“, die aus Mitgliedern der Gülen-Bewegung besteht, angeklagt.

Tora Pekin, einer der wenigen Anwälte der Cumhuriyet, die nicht in Untersuchungshaft sitzen oder selbst angeklagt sind, kommentierte am vierten Verhandlungstag den Schriftsatz des Staatsanwalts: „Diese tausend Seiten lange Anklageschrift hat weder Basis noch Halt und ist einfach nur Müll.“

Cumhuriyet-Vorstand Akın Atalay nannte zwei Punkte, die dieser Prozess zum Ziel hatte: „Erstens: Cumhuriyet übernehmen oder direkt zum Schweigen bringen. Zweitens: ein Exempel für all die übrigen Journalisten statuieren, die sich noch trauen, Nachrichten zu publizieren, die der Regierung nicht gefallen.“

Chefredakteur Murat Sabuncu konnte seine Verteidigungsrede nicht wie vorgesehen am ersten Tag halten, weil die Sicherheitsbeamten vor dem Justizpalast seine sämtlichen Unterlagen beschlagnahmt hatten. Als er am zweiten Tag dann mit Unterlagen in den Gerichtssaal kam, machte er seine Aussage. Er verwies auf das Allerabsurdeste und Verräterischste in diesem ganzen Prozess: „Der für diese Anklageschrift verantwortliche Staatsanwalt Murat Inam steht derzeit in einem anderen Prozess selbst vor Gericht. Wegen Mitgliedschaft in der Terrororganisation FETÖ! Ihm drohen zwei lebenslängliche Haftstrafen. Und wegen der Anklageschrift dieses Herren sitzen wir seit neun Monaten in Haft!“

Absurde Beweise

Güray Öz, Cumhuriyet-Ombudsmann (festgenommen am 31. Oktober 2016):Er wird beschuldigt, mit einem „FETÖ-Verdächtigen” kommuniziert zu haben. Im Prozess sagte er aus, dass diese Person ein Pide-Bäcker aus Çankaya sei. „Ich habe ihn angerufen, um Fladenbrot zu bestellen.“ Öz fragte: „Woher sollte ich wissen, dass die Polizei gegen die Person ermittelt, bei der ich immer Pide bestelle?”

Akın Atalay, Vorstand der Cumhuriyet-Stiftung (festgenommen am 11. November 2016):Vor vier Jahren hat Atalay einen neuen Parkettboden in seiner Wohnung verlegen lassen. Der Sohn des Meisters, den er beauftragte, taucht namentlich in einem Ermittlungsbericht auf. Akın Atalay musste sich vor Gericht dazu äußern, warum er Geld an diese Familie überwiesen habe.

Önder Çelik, Cumhuriyet-Stiftungsmitarbeiter (festgenommen am 31. Oktober 2016):Er musste sich vor Gericht für eine Autoreparatur verantworten. Umgerechnet etwa 83 Euro soll Önder Çelik vor sechs Jahren an eine Person überwiesen haben, die wiederum vor acht Jahren in einer anderen Firma gearbeitet haben soll, gegen die nun als der Fethullah-Gülen-Bewegung nahestehend ermittelt wird.

Beobachter spekulierten darüber, ob der Staatsanwalt bewusst eingesetzt wurde, um ihn unter Druck zu setzen.

Über den Umstand, dass drei der Zeugen, auf deren Aussagen die Anklageschrift zum Teil basiert, immer noch für Cumhuriyet arbeiten, zeigte sich Sabuncu „beschämt“: „Früher waren Journalisten Zeugen ihrer Zeit. Heute sind sie Zeugen im Prozess gegen die eigenen Kollegen.“

Auf die Nachfrage seiner Familie und diverser Abgeordneter, was ihm derzeit am schwersten falle, sagte Sabuncu, kenne er die Antwort nicht: „Die Razzia in meiner Wohnung? Oder dass ich als 47-Jähriger in der Haftanstalt gezwungen werde, meine Hose auszuziehen? Was mich sehr stört, ist, dass einer Zeitung wie der Cumhuriyet, die für Laizismus und demokratische Werte steht, Terrorunterstützung vorgeworfen wird.“

Der emotionalste Moment der Verhandlungswoche war die Verteidigung des Journalisten Ahmet Şık. Er selbst sagte zu seiner Rede allerdings: „Ich verteidige mich hier nicht. Ich klage an.“ Cumhuriyet-Reporterin und die Büronachbarin von Şık, Canan Coskun hatte die Verhandlung täglich im Saal beobachtet. Was sich im Gerichtssaal während Şıks eindrucksvoller Rede abspielte, beschreibt sie so: „Ahmets Anklage hat uns Mut gemacht. Selbst als der Prozessausschuss irgendwann damit drohte, uns aus dem Saal zu werfen, hörten wir nicht auf zu applaudieren. Wir konnten nicht anders. Ahmet hat uns in nur zwei Stunden so viel Mut gegeben, dass es für unser ganzes Leben reichen wird.“

Aber nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch vor dem Justizpalast versammelten sich jeden Tag Leute, um ihre Solidarität mit den Angeklagten zu zeigen und für die Freiheit der Presse zu demonstrieren.

Die Journalistin Banu Güven, die den Prozess ebenfalls täglich im Gerichtssaal verfolgte, beobachtete, „wie die Staatsanwälte auf arrogante Weise und ohne großen Aufwand versuchen, eine Straftat zu inszenieren. Dieser Prozess wird als Prozess der Schande in die Geschichte eingehen. Seit Montag sehen wir ganz deutlich, wer Gülens wahre Partner sind.“

Alle Anwälte aller Angeklagten forderten die unmittelbare Freilassung ihrer Mandanten. Am frühen Freitagabend plädierte der Staatsanwalt für die sofortige Freilassung von Turhan Günay, Ressortleiter Literatur. Für die Anwälte Bülent Utku und Kemal Güngör, den Ombudsmann Güray Öz und den Cartoonisten Musa Kart forderte er Freilassung auf Bewährung. Bei den anderen Angeklagten bestehe weiterhin der Verdacht, Verbrechen begangen zu haben, weshalb er für deren weitere Inhaftierung plädiere. Im Fall von Ahmet Sik plädierte er für die weitere Inhaftierung, weil dieser in seiner Arbeit die Türkei als einen Staat darstelle, der Terrorismus unterstütze. Außerdem beantragte der Staatsanwalt, ein neues Verfahren gegen Sik zu eröffnen wegen dessen Rede am 26. Juli vor Gericht.

Bis Redaktionsschluss hatten die Richter ihr abschließendes Urteil noch nicht gefällt. Die Urteile und weitere Berichte auf taz.gazete.de

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