Türkei Das neue Auftrittsverbot für Präsident Erdoğan wird in seiner Heimat nur verhalten kritisiert: Bloß kein neues Drama
aus Athen Jürgen Gottschlich
Die türkische Regierung bleibt auch einen Tag nach dem Auftrittsverbot für Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland zurückhaltend. Zwar ist in den regierungsnahen Medien von einer feindseligen deutschen Haltung gegenüber Erdoğan die Rede, doch offizielle Stellungnahmen gibt es weder von Ministerpräsident Binali Yıldırım noch von Erdoğan selbst.
Stattdessen musste sich der außenpolitische Sprecher Erdoğans, İbrahim Kalın, des Themas annehmen. Kalın sagte, die Haltung der deutschen Regierung sei ein konkreter Beleg dafür, dass Deutschland und Europa gegenüber der Türkei Doppelstandards verträten. Während die deutsche Regierung „Putschisten und Terroristen“ in Schutz nehmen würde, dürfe der Präsident nicht zu seinen Landsleuten sprechen. Das sei „respektlos und nicht akzeptabel“. Ähnlich äußerte sich das türkische Außenministerium, allerdings nur der Sprecher des Amtes und nicht Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu selbst.
Auch in den Zeitungen wird das Thema eher klein gehalten. Außer dem Boulevardblatt Takvim, das mit der Schlagzeile „Sie haben Angst“ (vor Erdoğan) titelte, lief die Geschichte in den anderen Zeitungen eher auf den hinteren Seiten. Allerdings hatte Yeni Şafak, die Zeitung, die am ehesten einem offiziellen Regierungsorgan gleichkommt, bereits vor zwei Tagen eine Titelgeschichte gedruckt, in der behauptet wurde, Deutschland sei der Türkei gegenüber zu offener Feindschaft übergegangen. Dabei ging es um die Listen angeblicher Putschisten und Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, die die Türkei gerne ausgeliefert hätte, die aber stattdessen von der Bundesregierung „geschützt“ würden.
Offenbar hat sich Erdoğan dazu entschlossen, aus seinem Auftrittsverbot jetzt keinen neuerlichen großen Skandal zu machen. Ungenannte Regierungsquellen streuten in türkischen Medien, es habe ja gar keine offizielle Anfrage des Präsidentenpalasts wegen eines Auftritts in Deutschland gegeben, sondern lediglich eine türkisch-deutsche Nichtregierungsorganisation hätte Erdoğan zu einem öffentlichen Auftritt vor seinen Anhängern einladen wollen.
Vergleicht man die jetzigen Reaktionen mit den schrillen Vorhaltungen, die Erdoğan persönlich der deutschen Kanzlerin und der Bundesregierung insgesamt im Vorfeld des April-Referendums machte, als türkische Minister nicht wie gewünscht in Deutschland auftreten konnten, sind die jetzigen Kommentare geradezu milde.
Die türkische Regierung will ganz offensichtlich den Konflikt mit Deutschland und der EU insgesamt nicht weiter anheizen. Nachdem die beiderseitigen Beziehungen wegen des erzwungenen Abzugs der Bundeswehr aus dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik und der andauernden Haft deutscher JournalistInnen in der Türkei bereits einen beispiellosen Tiefpunkt erreicht haben, müsste eine weitere Eskalation zu erheblichen Einschränkungen der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen führen. Das aber will die türkische Regierung vermeiden.
Sie erwartet am 6. Juli, einen Tag vor Beginn des G-20-Gipfels, den Besuch des EU-Erweiterungskommissars Johannes Hahn in Ankara. Dabei soll über eine neue Basis der Beziehungen gesprochen werden.
Die Bundesregierung hat ab sofort Auftritte ausländischer Regierungsvertreter in Deutschland eingeschränkt. Solche Auftritte „bedürfen der Genehmigung der Bundesregierung“, hieß es vom Auswärtigen Amt.
G-20-SEITEN 17–
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen