Tucholsky-Museum in Rheinsberg: Am Ende verliert die Demokratie
Das Tucholsky-Literaturmuseum ist durch Sparpläne der Freien Wähler bedroht. Zu seiner Rettung ziehen SPD, CDU und Linke an einem Strang.
Dieses Museum steht nun auf der Kippe, zumindest als ernst zu nehmende Kulturinstitution, die nicht nur Handschriften von Kurt Tucholsky oder Gegenstände aus seinem Besitz sammelt und zeigt, sondern auch bereits Hunderte Lesungen veranstaltet hat und regelmäßig StadtschreiberInnen aus Deutschland und der ganzen Welt beherbergt.
Geleitet wurde das Kurt Tucholsky Literaturmuseum über 30 Jahre lang von dem Literaturwissenschaftler Peter Böthig, der Ende März in den Ruhestand ging. Eine Nachfolge mit entsprechender Expertise soll es nach dem Willen des Rheinsberger Bürgermeisters aber nicht geben: Er will den Posten mit der Leitung des örtlichen Tourismusmanagements zusammenlegen, um Geld zu sparen.
Der Widerstand gegen diese Richtungsentscheidung ist in der Kulturszene groß, aber Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow von den Freien Wählern (FW) kümmert das wenig. Hinter ihm steht eine achtköpfige Fraktion in der Rheinsberger Stadtverordnetenversammlung (SVV) mit engen Verbindungen zur AfD*. Der Linken-Stadtverordnete Freke Over bezeichnet diese Konstellation unter dem Freie-Wähler-Label als „das erfolgreichste Projekt der AfD in Brandenburg“. Mit einem teuren Museum für jemanden wie Tucholsky können die Rechten offenbar herzlich wenig anfangen.
Der Kreis will die Trägerschaft
Argumentiert wird von ihnen mit den Kosten des Museums, die bei jährlich rund 250.000 Euro liegen, von denen freilich rund 80.000 aus Fördermittel des Landes, des Landkreises und auch des Bundes refinanziert werden. Die Möglichkeit eines Weiterbetriebs zu einem deutlich geringeren Preis für die Stadt liegt auch längst auf dem Tisch: Der Landkreis will die Trägerschaft des Museums übernehmen. Das hat Schwochow bislang verhindert, unter anderem indem er ankündigte, dem Kreis in diesem Fall nur noch einen Zuschuss von 15.000 Euro zahlen zu wollen. Dabei ist das Museum ein wichtiger Tourismusfaktor für die Stadt mit rund 8.000 Einwohnern.
Am Dienstag schlugen die Rheinsberger SVV-Fraktionsvorsitzenden von SPD, CDU und der Linken Alarm und luden zusammen mit Peter Böthig zu einem gemeinsamen (digitalen) Pressegespräch. Der gerade ausgeschiedene Museumsleiter erläuterte noch einmal die Bedeutung des Tucholsky-Museums: Nicht nur habe man die Einrichtung seit 1991 zu einem „europaweit anerkannten literarischen Ort entwickelt“, auch begeistere die Person Kurt Tucholskys – der sich in der Weimarer Republik auch als Herausgeber der Weltbühne gegen die Auflösung der Demokratie eingesetzt habe und von den Nazis ins Exil und 1935 den Freitod getrieben worden sei –, die Menschen noch immer. „Wir sind also auch ein demokratiefördernde Einrichtung und haben eine Tradition aufrechtzuerhalten“, so Böthig.
Für Freke Over – der in den 1990er Jahren für die damalige PDS im Berliner Abgeordnetenhaus saß – ist völlig klar, dass die Torpedierung des Museums ideologische Gründe hat. Er wirft dem Bürgermeister argumentative Tricks vor: So behaupte der, wegen des teuren Museumsbetriebs könne sich die Gemeinde Wege- und Schulsanierungen nicht leisten. „Da bindet er der Öffentlichkeit einen Bären auf“, so Over – schließlich werde das Museum aus Mitteln der Kurtaxe und weiteren zweckgebundenen Geldern für die Tourismusförderung finanziert. „Die können für eine Schule überhaupt nicht ausgegeben werden.“
Aus Sicht der SPD-Fraktionsvorsitzenden Ulrike Liedtke ist alles zu unternehmen, um zu verhindern, dass das Museum zu einem Raum verkomme, „den man auf- und zuschließt, ohne jedes Programm“. Ihr zufolge konnten der Bürgermeister und die Freien Wähler bei der letzten SVV-Sitzung am 8. April ein Votum gegen Schwochows Pläne verhindern, indem sie einen SPD-Verordneten, der im Urlaub war, nicht digital abstimmen ließen. So kam es zu einem Patt, obwohl SPD, CDU und Linke zusammen mit einem einzelnen FDP-Verordneten in diesem Punkt eigentlich eine Mehrheit von 9:8 gehabt hätten.
Jetzt wollen die drei Fraktionen einen neuen Anlauf machen: Sie haben für Ende April eine SVV-Sondersitzung beantragt, auf der sie einen Übernahmevertrag, den der Landkreis bereits erarbeitet hat, zur Abstimmung stellen wollen. Nach diesem Vertrag ginge das Museum zum 1. Juni 2024 in das Eigentum des Kreises über, die Zahlungen der Stadt Rheinsberg beliefen sich auf 85.000 Euro jährlich.
Ob das klappt, bleibt abzuwarten. In jedem Fall wird die Zeit knapp, denn am 9. Juni finden landesweit Kommunalwahlen statt. Im schlimmsten Fall könnte das „erfolgreichste Projekt der AfD in Brandenburg“ mit einer noch klareren Mehrheit in Rheinsberg daraus hervorgehen.
*In der ersten Version des Textes war davon die Rede, dass in der FW-Fraktion AfD-Mitglieder sitzen. Das lässt sich allerdings nicht mit völliger Sicherheit sagen. Sicher ist: Bei den letzten Kommunalwahlen kandidierten ausgewiesene AfDler auf der Liste von BWB/FW, einer davon zog auch in die Rheinsberger SVV ein. Dieser Stadtverordnete ist allerdings mittlerweile krankheitsbedingt ausgeschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste