Troika uneins über Griechenlandkurs: Die Retter streiten und drohen
Die Eurogruppe fordert die Umsetzung aller Griechenland-Reformen in einer Woche. Der IWF zweifelt mittlerweile am totalen Spardiktat.
BRÜSSEL taz | Pünktlich zum Besuch von Kanzlerin Merkel in Athen ist der Streit über weitere Hilfen für Griechenland wieder voll entbrannt. Diesmal sind es nicht nur die Geldgeber, die mit der griechischen Regierung streiten. Auch innerhalb der internationalen Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) liegen die Nerven blank.
Den Auftakt zu dem neuen Nervenkrieg machte die Eurogruppe, der alle 17 Eurostaaten angehören. Sie setzte dem griechischen Regierungschef Antonis Samaras die Pistole auf die Brust: Bis zum EU-Gipfel am 18. Oktober müsse sein Land alle vereinbarten Reformen umsetzen, sonst gebe es kein Geld mehr, sagte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker am späten Montagabend in Luxemburg.
Vor der Überweisung der nächsten Hilfstranche in Höhe von 31 Milliarden Euro müsse „Griechenland klar und glaubwürdig seinen starken Willen zur kompletten Umsetzung des Programms demonstrieren“, so Juncker. An die 90 im März vereinbarten Maßnahmen müssten „spätestens“ bis 18. Oktober „umgesetzt“ werden. „Es muss mehr getan werden, und zwar an allen Fronten“, legte IWF-Chefin Christine Lagarde nach. „Handeln heißt handeln und nicht nur reden“, insistierte sie.
Pleite im November
Der raue Ton kommt überraschend. Denn zum einen hatten die Euroretter bisher immer beteuert, den Bericht der Troika abwarten zu wollen, bevor eine Entscheidung fällt. Das gilt nun offenbar nicht mehr; schon beim EU-Gipfel nächste Woche wollen Merkel & Co. die Weichen stellen. Zum anderen wissen sie ganz genau, dass Griechenland ohne Hilfen spätestens im November pleitegeht. Genau das wollten sie bisher aber um jeden Preis vermeiden.
Wann die Troika ihre Mission in Athen abschließt und einen Bericht vorlegt, ist völlig offen. In Brüssel vermuten viele EU-Beobachter, dass der Bericht so lange hinausgeschoben wird, bis er in die politische Landschaft passt – also Merkel und den anderen Euro-Chefs gefällt. Doch dies kann dauern, denn mittlerweile ist auch innerhalb der Troika ein massiver Streit über das weitere Vorgehen ausgebrochen.
Im Kern geht es um zwei Fragen: Soll der Sparkurs weitergeführt oder sogar noch verschärft werden? Und: Braucht Griechenland einen neuen Schuldenschnitt, um seinen riesigen Schuldenberg abzutragen? Beide Fragen wurden ausgerechnet vom IWF, dem Gralshüter der neoliberalen Doktrin, aufgeworfen. Und in beiden Punkten schaltet Merkel bisher auf stur – womit sie eine Einigung erschwert.
IWF für Konjunkturprogramme
Der IWF hatte am Montag in seinem Weltwirtschaftsausblick darauf hingewiesen, dass man die Auswirkungen des Sparkurses auf das Wirtschaftswachstum unterschätzt habe. Bisher waren die IWF-Ökonomen davon ausgegangen, dass eine Budgetkürzung um 1 Prozent der Wirtschaftsleistung das Wachstum in Griechenland um 0,5 Prozent verringern würde. Tatsächlich seien es aber 0,9 bis 1,7 Prozent. Die Rezession wird durch die Sparpolitik also derart verstärkt, dass der Spareffekt zunichtegemacht wird.
IWF-Chefin Lagarde fordert zwar noch keine Umkehr, doch sie geht auf Distanz zur bisherigen Austeritätspolitik. Zudem fordert der IWF einen neuen, zweiten Schuldenschnitt, der diesmal die staatlichen Gläubiger treffen würde. Doch bisher weigert sich die Bundesregierung, über diese Idee auch nur zu reden.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum man nun wieder den Ton gegenüber Griechenland verschärft: Das kommt in Deutschland besser an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett