Trigema-Chef Wolfgang Grupp wird 80: Erst Partygänger, dann Patriarch
Bisherige Krisen überstand die Bekleidungsfirma Trigema ohne staatliche Hilfen. Ein Öl- und Gas-Embargo könnte die Firma jedoch in Schieflage bringen.
Die Schaltzentrale von Wolfgang Grupp in Burladingen sieht ein bisschen aus, als wäre „Raumschiff Enterprise“ auf der Schwäbischen Alb gelandet. Ein großer, heller Raum, rechts Sekretariat und der Schreibtisch des Sohnes, links der Tisch von Grupps Ehefrau, davor eine lange Tafel, über der goldgerahmt die Gründer des Unternehmens hängen. Im Zentrum thront Wolfgang Grupp an einem weißen Schreibtisch, groß und weiß wie einst das Showpiano von Udo Jürgens. Darauf ein in die Tischplatte eingelassenes Telefon, Stapel ausgedruckter Mails. Denn anders als bei Captain Kirk fehlt auf dem Schreibtisch des Chefs ein Computer.
Dahinter sitzt Wolfgang Grupp an diesem Nachmittag, telefonierend und für seine Verhältnisse leger, nur im knitterfreien weißen Hemd mit Krawatte. Als er fertig ist, zieht er sich seinen dunklen Zweireiher an und empfängt zum Interview. Denn gute Kleidung, sagt Grupp gleich mit erhobenem Zeigefinder, zeige den Respekt vor dem Gesprächspartner. Freizeitkleidung, wie er sie selbst verkauft, gehört aus seiner Sicht nicht dazu.
Grupp ist bereit zum Gespräch, braun gebrannt, streng gescheitelt, die Krawatte fest um den Hals geschnürt, die Stimme etwas schnarrend und schneidig. Ringsherum wuseln Familienmitglieder und Mitarbeiter, im Verlauf des Gesprächs wird das Großraumbüro immer leerer, bis nur noch die Grupps da sind. Er wird in diesen Tagen 80. Aber er scheint sich in den Jahrzehnten, in denen man ihn aus dieser Fernsehwerbung mit dem animierten Affen und den unzähligen Talkshow-Auftritten kennt, nicht verändert zu haben.
Ganz wie Grupp ist auch seine Botschaft in all den Jahren die gleiche geblieben. Er prangert die Gier und die Verantwortungslosigkeit von Managern an, die Arbeitsplätze rund um den Globus verlegen, dort wo es gerade günstig ist. Er kritisiert Unternehmer wie Anton Schlecker, die Firmen ruinieren – und dem Staat die Folgekosten überlassen. Alle Pleitiers, die er kenne, sagt Wolfgang Grupp, hätten bis heute ihre Villen behalten. Da könne er Forderungen nach der Vermögensteuer verstehen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Er dagegen habe für sein Unternehmen noch nie Staatshilfen in Anspruch genommen, auch in der Coronakrise nicht, sagt er. Er garantiere die 1.200 Arbeitsplätze in Burladingen und in den 45 Trigema-Shops deutschlandweit. Und wenn er doch pleitegehen sollte, sagt Grupp, dann sei auch die Reetdach-Villa gegenüber weg.
Selbstbeschränkung auf den deutschen Markt, Verzicht auf sinnloses Umsatzwachstum und Sweatshops in Fernost. Stattdessen Verantwortung für Mitarbeiter, umweltbewusste Produktion – in Zeiten der Globalisierung und von Hartz IV ist Wolfgang Grupp damit so etwas wie der Lieblingskapitalist für Kapitalismuskritiker geworden.
Aber vielleicht ist auch das ein Missverständnis. Mit Villa, Butler, Pool und Jagdhütte im Allgäu ist Grupp weder vom Lebensstil noch von seinen Einstellungen her ein Linker. Auch dann nicht, wenn er gelegentlich mal Sahra Wagenknecht recht gibt, deren Linkssein ja auch schon eine Weile zweifelhaft ist. Grupp ist viel mehr der Prototyp eines Patriarchen, der für seine Mitarbeiter, die er „seine Firmenfamilie“ nennt, sorgt. Oder wie er es sagt: „Ich bin kein Sozialsäusler, aber ein Gerechtigkeitsfanatiker, mir geht es um Verantwortlichkeit für das eigene Tun.“
Grupp vergibt zum Beispiel zinslose Kredite an seine Mitarbeiter. Er prüft die Bitten selbst. Vor einiger Zeit habe eine Mitarbeiterin nach einem Darlehen für ihren Sohn gefragt, erzählt er. Der sei aber schon über 20 und selbst gar nicht im Unternehmen angestellt. Da müsse man doch selbst Verantwortung für sein Leben übernehmen und nicht die Eltern vorschicken. Deshalb habe er abgelehnt. Dann habe er noch erfahren, dass der Sohn früher eine Frau gewesen sei und ein uneheliches Kind habe. Grupp schüttelt den Kopf.
Geradliniges Leben mit Vorzügen
Lebenswege mit Brüchen haben es nicht leicht in der geordneten Welt eines Wolfgang Grupp. Wer erfolgreich ist, macht seinen eigenen schnurgeraden Lebensweg leicht zum Maßstab, auch wenn man dem Herrn jeden Morgen in der Hauskapelle dafür dankt.
Der Unternehmersohn verbrachte die Schulzeit auf dem katholischen Internat Sankt Blasien. Als in den Großstädten die Studenten auf die Straße gingen, studierte Grupp mit Mercedes und eigener Wohnung gerade Betriebswirtschaft in Köln. Trigema, das Unternehmen der Familie, wird damals vom Vater geführt, gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Wolfgang Grupp bricht seine Promotion ab, weil er „lieber keinen Doktor, aber ein Unternehmen hat“, wie er seinem Professor erklärt. Ausgerechnet mit Batik-T-Shirts, dem Mode-Accessoire der Hippies, saniert er Trigema und übernimmt das Unternehmen ganz.
Grupp beliefert Jahrzehnte die großen Kaufhausketten und Discounter. Allerdings nur, solange die bereit sind, angemessene Preise für seine Wäsche zu bezahlen. Als es damit Ende der 90er Jahre vorbei ist und die Textilindustrie ganz nach Fernost verlegt wird, setzt Grupp auf Onlinehandel und eigene Läden. Insgesamt hat das Unternehmen inzwischen über 40 sogenannte Testshops, am liebsten in Tourismusregionen. Von den ehemals 26 Textilunternehmen allein bei Grupp vor der Haustür, in Burladingen, ist heute so gut wie keins mehr übrig. Grupp ist immer noch da.
Grupps Credo: „Wer ein großes Problem hat, ist selbst schuld, denn jedes große Problem war mal klein, und hätte er es gelöst, als es noch klein war, hätte er kein großes.“ So hält er es auch im Privaten. Bis Ende 40 führte er das Leben eines lebensfrohen Junggesellen mit Urlauben in Acapulco und Partys mit Gunter Sachs. Aber er sei sensibel genug gewesen, um irgendwann zu merken, dass die jungen Frauen auf Partys ihn langsam als alternden Mann wahrnehmen. Da habe er beschlossen, zu heiraten.
Ein Familienunternehmen
Grupp fand seine heutige Frau Elisabeth in der Steiermark, sie zog in seine Villa in Burladingen, integrierte sich als studierte Medizinerin in der Führungsetage der Firma, die beiden Kinder wurden im Abstand von zwei Jahren geboren. Grupp sagt: „Die Familie ist die Basis.“ Sohn Wolfgang junior arbeitet nach einer internationalen Ausbildung am Schreibtisch nebenan, die Tochter Bonita, die in England studierte, nur ein paar Schritte entfernt im Marketing und Vertrieb. Grupp findet, wenn die Kinder kein Interesse am Unternehmen gezeigt hätten, dann hätten er und seine Frau etwas falsch gemacht.
Keine Frage: In seiner Trigema-Welt hält Wolfgang Grupp bis heute alle Fäden in der Hand. Grupp schreibt die Dispositionslisten für die Produktion selbst. Grupp besucht regelmäßig seine Shops per Hubschrauber. Den Kindern seiner Mitarbeiter garantiert er einen Arbeitsplatz, „denn dann habe ich kein Problem, weil das im Zweifelsfall die Eltern lösen“.
Energiekosten fordern Trigema heraus
So hat er nicht nur den Untergang der deutschen Textilbranche überlebt. Trigema hat in der Coronazeit keine Kurzarbeit angemeldet – und auch die Finanzkrise 2008 ohne Bankkredite überstanden. Und jetzt, der Krieg in der Ukraine? Energiekosten sind für Trigema ein wichtiger Faktor, schon jetzt hat die Produktion auf Zweischichtbetrieb umgestellt. Grupp hat die Zahlen parat: 28 Prozent der Energiekosten spart er mit den verkürzten Laufzeiten der Strickmaschinen ein. Aber eine weitere Verdoppelung der Energiekosten als Folge eines Embargos könne er nicht durchstehen. „Wir brauchen das Gas aus Russland.“ Und wie immer traut er sich zu fragen, was womöglich viele in der Wirtschaft nur hinter vorgehaltener Hand sagen: „Ist das alles so richtig, was Selenski da macht?“
Aber Grupp ist kein Geopolitiker. „Ich mache mir ständig Sorgen, auch jetzt“, sagt er. Der Vorteil des Alters sei, dass man abends trotzdem müde werde und keine schlaflosen Nächte verbringe. Wolfgang Grupp lächelt fast nachsichtig mit sich selbst. Dann geht ein Ruck durch den drahtigen Mann. Entscheidend sei: „Wenn Trigema wirklich durch so eine Krise von außen in Schieflage geraten würde, muss ich mir wenigstens keinen persönlichen Vorwurf machen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus