Trend-Essen aus Japan: Run auf Reisbällchen
Onigiri sind beliebte Snacks der japanischen Küche. Ein Besuch in einem Lokal in Tokio, wo die Menschen für den Happen Reis lange anstehen.
Auf kleinen Hockern sitzen zehn Menschen nebeneinander auf einem Bürgersteig im Tokioter Stadtteil Otsuka, hinter der letzten Person steht ein selbstgebasteltes Schild: „An die Gäste des Onigiri Bongo“, ist da auf Japanisch zu lesen, „Wenn Sie hinter diesem Punkt anstehen, stellen Sie sich bitte entlang der Straßenbahnlinie an.“
Und tatsächlich, auf der anderen Straßenseite stehen noch etwa zwanzig weitere Menschen. Sie alle warten zwei bis drei, an Wochenenden gar sechs Stunden, um Onigiri zu verspeisen.
Onigiri gehören zu den beliebtesten Snacks der japanischen Küche: herzhaft gefüllte Reisbällchen, in der Regel umwickelt von Nori, also Seetangblättern, wie man sie auch vom Maki, also gerollten Sushi, kennt.
Doch innen ist kein roher Fisch, zu den typischen Füllungen gehören Thunfisch-Mayonnaise, saure Pflaume, Takana (eine Art Wirsing), gebratener Lachs und Mentaiko (Seelachsrogen). Zudem sind Onigiri deutlich größer, ihre Form ist meist dreieckig, mitunter auch kugel- oder zylinderförmig.
Ob als Lunchpaket, zu Events wie Sportfesten oder als Glücksbringer vor Prüfungen, vom Großteil der japanischen Bevölkerung werden sie seit Kriegsende – also seit Reis nicht mehr als Luxusware gilt – heiß geliebt und gern verspeist. In Plastik abgepackte Onigiri gibt es in jedem japanischen Convenience Store – kurz Konbini –, sie sind also fast überall im Land rund um die Uhr erhältlich. Trotzdem sind die Japaner.innen gern bereit, sich vor auf Onigiri spezialisierte Imbisse und Restaurants anzustellen – sogar in die besonders lange Schlange vor dem Onigiri Bongo.
„Anfangs waren Gäste empört“
„Konbini sind praktisch, ich kaufe da auch gerne tiefgekühlte Garnelen-Chili-Onigiri“, sagt Yumiko Ukon. Die 71-Jährige leitet das Onigiri Bongo seit 2012, als ihr Mann Tasuku starb, der das kleine Restaurant mit nur neun Sitzplätzen vor über 60 Jahren gegründet hatte.
„Dass die Leute gerne bei uns anstehen, liegt an unserer Zubereitung“, sagt Yumiko Ukon. Sie selbst hat sich vor einigen Jahren aus der Küche zurückgezogen. Der aktuelle Koch, er war früher Sushikoch, steht nun neben einem gigantischen Reiskocher und schaufelt häufchenweise Reis auf eine weiße Arbeitsplatte, hinter der mehr als dreißig große Plastikschalen mit unterschiedlichen Zutaten stehen.
Großzügig portioniert er die Füllung in die Mitte des Reishäufchens, legt noch ein wenig Reis obendrauf und knetet die Masse – nur ganz leicht, die Hände kaum aufeinandergepresst. Schließlich legt der Koch einen Happen der jeweiligen Füllung auf die Spitze des Onigiri, damit beim ersten Bissen nicht nur Reis, sondern auch die Würze den Mund füllt. Zudem können Gäste so direkt sehen, welche ihrer Bällchen womit gefüllt sind.
Auf das sanfte Zudrücken lege sie besonderen Wert, erklärt Yumiko Ukon. „Anfangs waren Gäste empört“, sagt sie. „Der Reis fällt nämlich schneller auseinander als gewohnt.“ Doch sie ist von ihrer Methode überzeugt. „Beim Sushi achten Profiköche auch darauf, dass sie den Reis nicht so zusammenpressen. Und Onigiri schmeckt besser, wenn er viel Raum für Luft zulässt.“
Neben der Luftigkeit sei auch entscheidend, dass die Onigiri noch warm sind und dass wirklich jeder Bissen neben Reis und Nori eine ordentliche Menge Füllung enthält. Zudem bietet das Menü eine ungewohnt große geschmackliche Bandbreite. Können Kund:innen sonst zwischen fünf bis zehn Onigiri-Füllungen auswählen, sind es beim Onigiri Bongo mehr als fünfzig, darunter außergewöhnliche Optionen wie Asari-Muscheln, Seeigel mit Qualle oder Bacon.
Onigiri in Dresden und Berlin
Die Popularität des Onigiri Bongo hat sich durch seine mediale Präsenz noch potenziert. Sämtliche Befragte aus der Schlange berichten, dass sie durch soziale Medien wie Instagram oder Tiktok aufs Bongo aufmerksam geworden sind. Dass sie nun so lange warten müssen, stört sie nicht, denn Schlangestehen für Essen ist in Japan recht üblich. Wem das zu blöd ist, kann sich beim Onigiri Bongo immer noch Essen zum Mitnehmen bestellen.
Auch Takashi Aoki, 31, gesellt sich beim Besuch dazu, eine Art Lehrling von Yumiko Ukon: Vor drei Jahren entschloss sich der gelernte Informatiker zusammen mit seinem Geschäftspartner Akiyasu Tsuchiya, nach Deutschland zu gehen und dort die japanische Küche zu verbreiten. Sie entschieden sich für Onigiri, weil sie die Zubereitung für einfach hielten.
„Ich habe noch nie Tempura frittiert, noch nie Tonkotsu-Brühe für Ramen gekocht. Aber Onigiri formen kann ich“, sagt Aoki. Tsuchiya hatte zuvor sogar knapp zwei Monate als Lehrling im Onigiri Bongo gearbeitet. Yumiko Ukon schüttelt den Kopf, als Aoki davon erzählt. „Was soll man denn in zwei Monaten Vernünftiges beibringen?“, fragt sie.
Die beiden Männer dachten sich hingegen: Erst mal anfangen, das mit der Perfektion klappt dann schon nach einer gewissen Zeit. Mit wenig Erfahrung öffneten sie den ersten „Tokyo Gohan“ 2021 in Dresden, den zweiten ein Jahr später in Berlin. Dabei entschieden sie sich bewusst gegen Düsseldorf, die Japan-Hauptstadt Deutschlands. „Dort hätten wir hauptsächlich japanische Kundschaft“, erklärt Takashi Aoki. Doch das passte nicht zu ihrer kulinarischen Mission.
Kampf gegen Sojasauce
Wobei Onigiri in Deutschland nicht komplett unbekannt ist. Schon seit einiger Zeit finden sie sich in perfekter Dreiecksform und in Plastik verpackt in den Kühlregalen von Supermarktketten wie Rewe. Ungewohnt ist ein reiner Onigiri-Imbiss für die deutsche Kundschaft dennoch. Auch, weil sie es gewohnt sind, eine gewisse Auswahl zu haben. „Dass wir fast ausschließlich auf Onigiri spezialisiert sind, verstehen noch nicht alle“, sagt Aoki. Da es sich bei seinem Laden in den Köpfen der Kundschaft um ein japanisches Restaurant handelt, gingen viele Gäste davon aus, dass es auch Ramen oder Sushi gibt, sagt er. Doch als Ergänzung stehen nur Edamame-Bohnen, Misosuppe, und Karaage (frittiertes Hähnchen) auf der Karte.
Auch die Füllungen mussten sie ein wenig an den deutschen Geschmack anpassen, unter anderem stehen Avocado mit Tomaten, Miso mit Frischkäse, Schweinebauch mit Kimchi oder Hackfleisch mit Sojasauce auf der Karte. „Erstaunlicherweise ist Fleisch sehr beliebt“, sagt Takashi Aoki.
Die deftigen Geschmacksrichtungen seien den salzliebenden Deutschen dennoch nicht würzig genug. So fragen die Gäste immer wieder nach Sojasauce – was Aoki anfangs zunächst massiv störte. „Ich hab das wirklich gehasst. Die Sauce macht den gesamten Onigiri kaputt.“ Mittlerweile hat er den Kampf dagegen aufgegeben. „Bis man in Deutschland die Köstlichkeit des puren Reises erkennt, dauert es wohl noch eine Weile.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation