Treffen mit der Neuköllner Rap-Crew AOB: Shisha, Zimt und Baklava
Der Song „Sonnenallee“ von AOB ist eine Hymne auf ihre Hood. Beim Hähnchenessen im Kiez geht es um Musik, das Leben in Neukölln und die Bullen.
Berlin wählt. Schon wieder. Die vergangene Wahl war ungültig. Niemand wundert sich darüber. Berlin gilt als kaputt. Geht überhaupt was in der Stadt?
Seit dem Jahreswechsel ist die Sonnenallee im Bezirk Neukölln in aller Munde. Für die einen ist sie Ausdruck einer virilen Großstadt, andere haben Angst, wenn sie nur an den vielen arabischen Läden vorbeigehen. Wer die oft arg aufgeregte Debatte um Clans und Paschas verfolgt, muss glauben, an der Sonnenallee entscheide sich das Wohl und Wehe aller Integrationsbemühungen.
Und sonst? Die Straße hat noch mehr Berlin zu bieten. Sie beginnt am Hermannplatz, wo ein gigantisches Kaufhausprojekt geplant wird. Das Gentrifizierungsgespenst geht um. Und sie endet da, wo früher Ostberlin war. Also: Schaut auf diese Straße!
Die taz widmet deeer Sonnenallee ein Dossier zur Berlin-Wahl.
Alle Texte finden Sie hier taz.de/sonnenallee
Die Rap-Crew Army of Brothers, AOB, hat einen Song geschrieben, der für viele Leute das Lebensgefühl in Berlin insgesamt, aber vor allem auch im Süden der Stadt, zusammenfasst. „Wir wollten eine Hymne auf Neukölln schreiben“, sagt Chapo.
Wie seine Kollegen Haki, Almani und Bangs ist er in dem Berliner Stadtteil geboren und der festen Überzeugung, dass es vielleicht schönere Ecken in der Hauptstadt gibt, aber kaum ein vielfältigeres und herzlicheres Pflaster. Dass die ganze Republik immer wieder über Neukölln debattiert, wie zuletzt nach Silvester, ist für sie eine Farce. „Ich würde niemals hier wegziehen“, sagt Almani.
Die besagte Hymne auf Neukölln trägt den Namen „Sonnenallee“. Für den Berliner Rapper Said ist die Sonnenallee der „Boulevard von Neukölln“. Er rappt den eingängigen Refrain des Songs: „Liegt Weed in der Luft / und Shishageruch / riecht das Fleisch nach Zimt /Weißt du wo wir sind / Auf der Sonnenallee.“
Mit passendem Clip erschien das Stück im April 2017 bei Aggro TV; das Online-Videoformat, mit dem das Label Aggro Berlin nach seiner Schließung 2009 weiterhin bundesweit für Aufsehen sorgte. Im hektisch aufgenommenen Video sitzen AOB erst vor einem Imbiss an der Sonnenallee und essen gegrilltes Hähnchen, später steht fast die halbe Straße vor der Kamera, rappt über das Leben im Kiez.
Broke und Straße
Fast sechs Jahre später sitzen die Musiker aus dem Video beisammen und essen das berühmte in Knoblauchsoße marinierte Grillhähnchen an der Sonnenallee. Fünf Alben haben sie inzwischen veröffentlicht, darunter sind auch Soloprojekte von einzelnen Crew-Mitgliedern, trotzdem halten sie eisern zusammen.
„Wir sind wie eine Familie“, sagt Almani. Er hat keinen Hähnchen-Teller bestellt, weil er nebenbei als Boxtrainer arbeitet und noch Sport machen will – was ihn allerdings nicht davon abhält, die Pommes seines Bandkollegen Haki wegzufuttern. Was ihre Musik gegenüber der deutschen Rap-Landschaft auszeichne? „Wir sind broke und Straße“, sagt Chapo mit verschmitztem Lächeln.
Die Rapper sind alle um die 30 Jahre alt, zum Leben reicht ihnen ihre Kunst nicht. „Wenn wir nur einer wären, würde das vielleicht klappen.“ Aber sie sind eben insgesamt fünf Musiker bei AOB, und so finanzieren sie ihre Leidenschaft quer.
Chapo hat Elektriker gelernt und arbeitet als Servicetechniker im Brandschutz. Bangs, der am vergangenen Freitag ein neues Soloalbum veröffentlicht hat, ist gelernter Heilerziehungspfleger und arbeitet in einem Jugendklub. Haki, der neben Almani am meisten redet, repariert Laptops und ist als Bühnenbauer tätig. Almani ist zweimal die Woche als Security tätig und vermietet Boxautomaten. „Wir können nicht davon leben, aber wir können es uns leisten, Musik zu machen“, sagt er.
Zwischen Sozialromantik und rassistischen Stereotypen
Viele Geschichten aus Neukölln erlangten bundesweit Bekanntheit: Ein von finanzieller Armut geprägter Stadtteil, der wegen seiner ehemaligen Randlage an der Grenze zu Ostberlin seit den späten 1970er Jahren vor allem von Arbeitsmigrant*innen und ihren Familien bewohnt wurde.
Vor diesem Hintergrund wurde zuletzt über die Silvesternacht diskutiert, nachdem am südlichen Ende der Sonnenallee Rettungskräfte mit Feuerwerkskörpern beschmissen wurden. Vor dem selben Hintergrund wurde auch bereits 2006 über die in einer Parallelstraße zur Sonnenallee gelegene Rütli-Schule diskutiert, nachdem dort Lehrer*innen einen Brandbrief verfasst hatten, weil sie wegen chaotischer Zustände den Schulbetrieb nicht bewerkstelligen konnten.
Dabei ist die Berichterstattung aus Neukölln seit vier Jahrzehnten oftmals entweder von Sozialromantik oder rassistischen Stereotypen geprägt. Für AOB ist dabei klar, dass die Aufregung über den Bezirk oft maßlos überzogen ist. Zu den Ereignissen in der Silvesternacht sagt Chapo: „Dass die Tat falsch ist, ist klar. Die Bullen sind mir bisschen egal, aber Feuerwehr und Krankenwagen anzugreifen, ist tabu.“
„Das gilt doch sogar im Krieg“, ergänzt Almani. Bangs meint: „Ich würde das etwas anders sehen: Auch Polizei, egal welche Uniform, da steht doch ein Mensch dahinter. Der hat doch auch vielleicht Kinder oder so, das geht alles gar nicht.“
Gegen Rassismus und „scheiß Razzien“
Die jungen Männer diskutieren auch kontrovers miteinander, sie kennen sich teils seit ihrer frühen Jugend auf der Oberschule und sagen, sie seien wie Brüder. Almani holt zu einer generellen Rassismuskritik aus: „Hier werden sehr viele Menschen über einen Kamm geschoren. Dem Rassismus in den Behörden muss mal intensiver nachgegangen werden. Die Strafverfolgung wird immer bei uns gemacht“, sagt er. „Die sollen ihre scheiß Razzien sein lassen in den Shishabars!“
„Und solche Worte von einem Deutschen“, sagt Chapo und lacht. Almani heißt übersetzt der Deutsche, und das scheint für niemanden hier ein Problem zu sein – genauso wie es kein Problem ist, dass sich die anderen Crew-Mitgliedern nicht durchweg so sehen. Sie kommen ohnehin alle von hier; Wörter wie „Habibi“ und „Canım“ verwenden die Rapper von AOB in einem Atemzug mit „Kunst“ und zunehmend „fehlenden Freiräumen“ im Kiez.
Als die Hähnchen verputzt sind, laufen die Jungs einmal die Sonnenallee herunter. Es geht vorbei an Altberliner Eckkneipen, Lebensmittelgeschäften mit Gemüse unter Neonlicht und der besagten Konditorei Al-Joud, die von der gesamten Mannschaft aufgesucht wird.
Auch vorbei geht es an einem Laden, der neu wirkt und Bondage- und Sadomaso-Accessoires sowie Unterwäsche in Bio-Qualität anbietet. Yuppie-Bedürfnisse vom Feinsten. Bangs sieht das gelassen. „So lange hier jeder macht, was er will, ist doch geil“, sagt er. „Wenn durch so was die Mieten nicht steigen, ist alles kein Problem.“
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