Traumabewältigung auf Social Media: Plüsch und Selbsthilfe
Meme-Accounts posten sehr erfolgreich über Traumabewältigung. Das hat problematische Aspekte, erfüllt aber auch wichtige Funktionen.

Plüsch. Der Instagram-Account „Softcore Trauma“ von Margeaux Feldman ist so bunt, weich und irgendwie nett, er erinnert an Plüsch. Memes von Figuren aus der Muppet Show wechseln sich mit Furbies und Katzen ab, vielen Katzen. Scrollt man durch die Seite, sieht sie auf den ersten Blick aus wie unzählige andere Meme-Accounts. Doch Accounts wie jene von Feldman handeln vor allem von Trauma und Traumabewältigung – und zeigen, dass die Mental-Health-Bubble im Netz auch anders funktionieren kann.
Die Texte und Bilder von „Softcore Trauma“ liegen zwischen digitalem Kalenderspruch und kulturkritischem Blog. Da ist Kermit aus der Muppet Show im Cowboy-Kostüm, wie er darüber spricht, sich selbst zu vertrauen. In einem anderen Post schreibt Feldman über „Boundaries“, persönliche Grenzen, die immer mehr zur Entschuldigung für verantwortlungsloses Verhalten verkommen seien.
Die Content-Creator*in Feldman ist Künstler*in und Aktivist*in aus Los Angeles. Als Kind hat Feldman, non-binär, eigenen Angaben zufolge viel Traumatisierendes erleben müssen. Den Tod der Mutter, sexualisierte Gewalt, Armut. Trauma umschreibt Feldman dabei als einen weiten, diffusen Begriff: „Wir tragen alle viele ungeheilte Wunden.“
Memes und Texte sind für viele Content-Creator*innen ein Weg, das Erlebte zu verarbeiten und diese Inhalte mit anderen zu teilen und weiterzugeben. Die Wiedergabe des eigenen Erlebten, ob der Umgang mit dem „Inneren Kind“ oder Abgrenzungsproblemen, trifft im Netz auf große Resonanz. 376.000 Menschen folgen so beispielsweise dem Account von Feldman, die Interaktion ist hoch, gleichzeitig gibt es auch Content über die Onlineplattformen Substack und Discord-Communities – zum Teil auch mit Bezahlinhalten.
Inflationärer Gebrauch von „Trauma“
Es existieren Hunderte solcher Accounts zum Thema Trauma: bunte Farben, süße Tierchen und Affirmation. Die ganze Bandbreite des zeitgenössischen Mental-Health- und Awareness-Vokabulars findet sich in dem Genre wieder. Der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie Trauma, der individualisierte Hang zur Selfcare, die Flucht ins Private. Hinzu kommt die Kommerzialisierung und Monetarisierung von Online-Content, durch Newsletter und Merchandise – diese zuckersüßen Gemeinschaften sind nicht unproblematisch.
Gleichzeitig erfüllen die lange belächelten Selfcare-Seiten mit gewissem Cringe-Potenzial womöglich gleich mehrere wichtige und übersehene Funktionen im Social-Media-Ökosystem. Zum einen ordnen sie jenen Content ein, den der Algorithmus zu psychischer Gesundheit, Neurodiversität und dem allgemeinen Wohlbefinden in viele Timelines spült. Das sind oft Symptombeschreibungen zur Selbstdiagnose von ADHS oder Autismus oder traumatische Videos von Unbekannten, die beunruhigt und verstört zurücklassen – TraumaDumping genannt.
Zeitgenössische Selbsthilfegruppen
Die Hashtags #ADHD (englisch für ADHS) und #Autism wurden auf Tiktok und Instagram millionenfach aufgerufen. Im „Plüsch-Genre“ sind mittlerweile Gemeinschaften gewachsen, die einen produktiveren Ansatz bieten, die Mental-Health-Inhalte einzufangen und zu entschärfen. Anstatt zu pathologisieren, fokussieren sie sich auf einen inneren Umgang mit Themen wie Trauer, Angst, Bindungsstörungen und Wut. Sie sind kein Ersatz für professionelle psychotherapeutische Hilfe, vielmehr sind sie eine Art Supportgroup. Eine zeitgenössische Selbsthilfegruppe mit entsprechender Ästhetik und Sprache, in der es um Zuspruch, Selbstbestärkung und Trost geht.
Zugleich rast das Weltgeschehen über die Bildschirme, Gewalt, Krieg, Hass. Insbesondere bei jüngeren Generationen zeigt sich seit Jahren eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustands. Beim Scrollen durch die Timelines wird die persönliche Psychohygiene in und abseits von den sozialen Netzwerken wohl leider noch wichtiger werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!