Trauerfeier für Margot Friedländer: „Nur, wenn wir sie nicht vergessen“
Margot Friedländer wurde in Berlin beigesetzt. Am Ende ihres Lebens war die Holocaust-Überlebende verzweifelt über den Judenhass auf deutschen Straßen.
Friedländer war wohl die bekannteste Holocaust-Überlebende in Deutschland. Im Sommer 2024 etwa blickte sie vom Cover der Modezeitschrift Vogue. Sie trug einen roten Mantel, elegant wie immer. Am 5. November 1921 als Anni Margot Bendheim in Berlin geboren, besuchte sie nach ihrer Schulzeit eine Modezeichenschule. Später begann sie eine Schneiderlehre.
Am Donnerstag wurde Friedländer, die „kleine große Frau, Jüdin, Berlinerin“, wie der Rabbiner ihrer Gemeinde, Jonah Sievers, sie charakterisierte, neben ihren Großeltern auf dem Friedhof Weißensee der Jüdischen Gemeinde zu Berlin beigesetzt. Zur Trauerfeier kamen der Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Regierende Bürgermeister von Berlin und mehrere ihrer Vorgänger, darunter auch Angela Merkel, in deren Amtszeit Friedländer im Alter von 88 Jahren in ihre Geburtsstadt zurückgekehrt war.
Neben Rabbiner Sievers sprach auch Rabbiner Yehuda Teichtal von der Chabadgemeinde. Dass ein liberaler und ein orthodoxer Rabbiner ihre Trauerfeier gestalten, war Friedländers Wunsch gewesen. So setzte sie noch in ihrer Trauerfeier ein Zeichen: Wenn es um Leben und Tod geht, kommt es nicht auf die Unterschiede an, sondern auf das Gemeinsame.
„Das was man sich unter einem Menschen vorstellt“
Junge Menschen zu „Zweitzeugen“ zu machen, war ihre Mission. In den vergangenen Jahrzehnten sprach sie zu Tausenden Schülerinnen und Schülern. Sie hoffte, dass diese die Erinnerung an die „Endlösung“ – den Versuch, das Judentum für immer auszulöschen – wach halten würden. Sie hatte einen Draht zu den Jungen. Sie hörten und verstanden ihre universalistische Botschaft: „Es gibt kein jüdisches, kein christliches, kein muslimisches, nur menschliches Blut.“
Für Gideon Joffe, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der als Erster bei der Trauerfeier sprach, symbolisierte Friedländer „das, was man sich unter einem Menschen vorstellt. Wärme, Nahbarkeit, Mitfühlen“. Direkt an die Verstorbene gewandt, sagte Joffe, sie habe das Unvorstellbare, Verfolgung, Einsamkeit und den Tod ihrer Familie überlebt. „Aus der Vergangenheit heraus sind Sie jemand geworden, der nicht hassen wollte, sondern erinnern, nicht anklagen, sondern erzählen.“

Friedländers Vater entschloss sich erst 1939, nach Belgien zu fliehen. Er wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Margot lebte in Berlin mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder zusammen. Sie musste Zwangsarbeit leisten, die Familie wurde in eine sogenannte Judenwohnung in der Skalitzer Straße in Berlin-Kreuzberg eingewiesen.
Margot und ihre Mutter Auguste waren nicht zu Hause, als im Januar 1943 die Gestapo Bruder Ralph abholte. Die Mutter wollte den Sohn nicht allein lassen und stellte sich der Polizei. Beide wurden nach Auschwitz deportiert und ermordet. Margots Mutter hatte, bevor sie die Wohnung verließ, einer Nachbarin ihre Handtasche, eine Bernsteinkette, ein Notizbuch und eine Notiz für ihre Tochter übergeben: „Versuche, dein Leben zu machen.“
Sprechen für die, die es nicht geschafft haben
Margot, damals 21 Jahre alt, entschloss sich unterzutauchen. Sie färbte sich die Haare rot und ließ sich später die Nase operieren. 15 Monate lang lebte sie im Untergrund, musste ständig neue Verstecke finden. Später erzählte sie, 16 Berliner hätten ihr dabei geholfen. Nach einem Luftangriff im April 1944 – Luftschutzbunker musste sie als Untergetauchte meiden – fragten auf dem Kurfürstendamm sogenannte Greifer der Gestapo nach ihrem Ausweis, sie wurde wenig später ins KZ Theresienstadt deportiert. Trotz schwerer Zwangsarbeit und Hunger überlebte sie.
Drei Monate nach der Befreiung heiratete sie in einem Lager für Displaced Persons im bayerischen Deggendorf Adolf Friedländer, in den sie sich in Theresienstadt verliebt hatte. 1946 emigrierte das Ehepaar nach New York. 1997 starb Friedländers Mann, 2003 besuchte sie erstmals nach dem Krieg Deutschland.
Rabbiner Sievers zitierte aus dem 49. Psalm: „Nichts nehmen wir ins Grab, die Ehre folgt einem nicht. Was bleibt, ist der gute Name.“ Im Buch Kohelet heiße es, ein guter Name sei besser als gutes Öl, und Margot Friedländer habe sich einen guten Namen gemacht. Die Gerechten würden selbst im Tod noch lebendig genannt, weil ihre Taten weiterwirkten. „Weil ihre Stimme nicht verstummt, weil sie eine Spur hinterlassen hat – aber nur, wenn wir sie nicht vergessen.“
Rabbiner Yehuda Teichtal schloss daran an: „Du lebst weiter, liebe Margot, wir sind deine Kinder.“ Friedländer habe überlebt in einer Welt, die sie auslöschen wollte, und sich geweigert, ihren Glauben an die Menschlichkeit aufzugeben. Sie habe Berlin in ein „Symbol des Lichts und der Hoffnung“ verwandelt. Danach sang Max Raabe „Irgendwo auf der Welt“, einen Schlager, den der jüdische Komponist Werner Richard Heymann 1932 geschrieben hatte, bevor er ein Jahr später Deutschland verlassen musste: „Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an.“

Die Trauerrede hielt Leeor Engländer, der Friedländer im Jahr 2005 kennengelernt hatte. Er hatte seine Großeltern, die den Holocaust überlebt hatten, aber früh an den Folgen der Verfolgung starben, nie kennengelernt, Friedländer hatte keine Kinder. Die beiden freundeten sich an. Engländer wies auf die Schattenseiten hin, die im Licht der Öffentlichkeit selten wahrgenommen wurden.
Den ersten Dokumentarfilm über sie hätten weder die Berlinale noch die überregionalen Fernsehsender zeigen wollen. Ähnlich war es bei ihrer Biografie, es gebe bereits genug Bücher von Überlebenden. Friedländer habe viele Widerstände überwinden müssen, seit sie nach Deutschland zurückgekehrt war, und habe doch ein Lebenswerk geschaffen.
Doch jede Rede habe sie sehr viel Kraft gekostet: „Immer wieder aufs Neue plagten dich die Erinnerungen“, sagte Engländer. Am meisten hätten Friedländer die Dankesbriefe der Schülerinnen und Schüler bedeutet. Sie hätten sie mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft erfüllt.
„Ich spreche für die, die es nicht geschafft haben“, sagte Margot Friedländer über ihre Arbeit mit Jugendlichen. „Was ich jetzt mache, ist für die Jugend. Sie sollen wissen: Was war, das können wir nicht mehr ändern, aber es darf nie wieder geschehen.“ Als sie am Jahrestag des 7. Oktober interviewt wurde, musste sie sich eingestehen, dass es wieder geschehen war. Über den Überfall der Hamas sagte sie: „Es ist eine Wiederholung von dem, was war.“
Der unverhohlene Judenhass auf deutschen Straßen nach dem 7. Oktober habe Friedländer in Verzweiflung gestürzt, sagte Engländer. Sie habe nüchtern analysiert: „So hat es damals bei uns auch begonnen.“
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