Trauer um indische Studentin: Tränen und Kerzen für das Opfer
In Indien gedenken tausende Menschen der verstorbenen vergewaltigten Studentin. Die Regierung lädt erstmals zu Treffen mit Frauengruppen.
DELHI taz | Die Nachricht vom Tod der vergewaltigten Studentin hat die Menschen in Indien tief erschüttert. In Neu-Delhi und anderen Städten des Landes versammelten sich spontan Tausende in stillem Gedenken an die 23-Jährige, die in der Nacht zu Samstag in einer Spezialklinik in Singapur an ihren schweren Verletzungen gestorben war.
Kerzen wurden entzündet und Gebete gesprochen. Viele junge Leute hatten Tränen in den Augen. Auf Plakaten wurden schärfere Gesetze und mehr Sicherheit für Frauen gefordert.
Aber es war kein Tag der Proteste, sondern ein Tag des Innehaltens. Aus Angst vor Ausschreitungen hatte die Polizei in Delhi dennoch schon am Samstagmorgen weite Teil der Innenstadt abgeriegelt. Wichtige U-Bahn-Stationen blieben geschlossen.
Trotz dieser massiven Behinderungen fanden mehrere hundert Hauptstädter den Weg in die Nähe des zentralen Connaught-Platzes, wo eine Kundgebung genehmigt worden war.
„Wir sind als Mütter, Väter, Brüder, Schwester, Nachbarn und Freunde gekommen, um einen lieben Menschen zu betrauern“, sagte die Aktivistin Radhika Ganesh. Unter den Trauernden war kurzzeitig auch Delhis Ministerpräsidentin Sheila Dikshit, die sich nach Buh-Rufen jedoch wieder zurückzog.
Trauermarsch in Delhi
Ein Trauermarsch fand im Süden Delhis statt. Vor allem Studierende zogen von der Jawaharlal-Nehru-Universität zu einer Bushaltestelle im nahe gelegenen Stadtteil Munirka. Dort waren die junge Frau und ihr Begleiter am 16. Dezember nach einem Kinobesuch in den Bus der Angreifer gestiegen.
Nach Angaben der Polizei wurden die sechs mutmaßlichen Täter inzwischen wegen Mordes angeklagt und in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt. Der Prozess gegen sie soll Anfang Januar beginnen. Die sterblichen Überreste des Opfers wurden am Sonntag mit einer Sondermaschine aus Singapur zurück nach Delhi gebracht.
Einäscherung ohne Öffentlichkeit
Premier Manmohan Singh und die Chefin der regierenden Kongresspartei, Sonia Gandhi, nahmen die Tote und deren Familie am Flughafen in Empfang. Wenige Stunden später wurde die junge Frau unter Ausschluss der Öffentlichkeit nach hinduistischer Tradition eingeäschert.
Sonia Gandhi hatte sich am Samstag in einer Fernsehansprache an die Nation gewandt. „Unsere Herzen sind bei den Eltern und der Familie des Opfers. Das ganze Land teilt ihre Trauer“, sagte die Politikerin. Sie sprach auch all jene an, die in den vergangenen Wochen demonstriert hatten.
„Ich versichere Ihnen, Ihre Stimmen wurden gehört. Als Frau und Mutter verstehe ich Ihre Gefühle.“ Bei den Protes- ten waren Regierung und Behörden massiv attackiert worden. Ihnen wurde vorgeworfen, sexuelle Gewalt gegen Frauen zu verharmlosen und nicht entschieden genug gegen die Täter vorzugehen.
Kritik an Gesetzeslage
Das Verbrechen hatte auch eine Debatte über die Rolle von Frauen und Mädchen in der indischen Gesellschaft ausgelöst. Die Gesetzeslage wurde ebenso kritisiert wie der Umgang der Polizei mit Opfern sexueller Gewalt.
Inzwischen wurde diese Debatte jedoch von populistischen Themen verdrängt – darunter die von vielen geforderte Kastration von Vergewaltigern oder einem von der Polizei geplanten Internetpranger für Sexualstraftäter.
Gleichwohl gibt es Bewegung. Vor wenigen Tagen lud das Frauenministerium erstmals einflussreiche Frauengruppen und Aktivistinnen zu einem Krisentreffen ein. Teilnehmerinnen zeigten sich im Anschluss an die Zusammenkunft zufrieden.
Vergewaltigungen gehen weiter
Das Ministerium habe die vorgebrachten Belange ernst genommen und sich allen kritischen Fragen gestellt, hieß es. Doch der Weg ist noch weit. Die Zeitung Hindustan Times berichtete am Sonntag, dass seit dem Angriff auf die verstorbene Studentin mindestens 20 weitere Frauen in Delhi vergewaltigt worden seien. Damit stieg die Zahl der 2012 in der Hauptstadt offiziell registrierten Fälle auf über 680.
Indiens ehemaliger Oberster Richter, V. N. Khare, forderte in dem Blatt die Einsetzung einer gut ausgestatteten und sensibilisierten Sondereinheit der Polizei, die sich nur mit Gewalt gegen Frauen befassen solle. Normale Ordnungspolizisten seien dazu nicht in der Lage.
Zudem müsse ein größeres Augenmerk auf Prävention und schnelles Eingreifen gelegt werden. Nach einem derartigen Verbrechen nur drakonische Strafen für die Täter zu fordern helfe nicht weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod