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Toxisches Meme auf TikTokÜbergriffig sein liegt wieder voll im Trend

Unter dem Social Media-Trend „One Day or Day One“ posten heterosexuelle Paare romantische Bilder. Warum sie damit toxische Männlichkeit reproduzieren.

Still aus dem Film Supernatural von 1933 Foto: Bettmann/getty images

Ein neuer Trend kursiert auf Tiktok – oder vielmehr eine alte Erzählung in neuem Gewand: One Day or Day One. In den kurzen Videos zeigen überwiegend heterosexuelle Paare Hochzeitsfotos oder Schnappschüsse, gefolgt von Screenshots ihrer ersten Nachrichten. Unterlegt ist das Ganze mit dramatischer Klaviermusik und einer tiefen Stimme. Sie sagt: „One Day or Day One“.

Der Spruch stammt von Dwayne „The Rock“ Johnson, der damit motivieren wollte, etwas aus dem eigenen Leben zu machen. Aus einer Floskel über Selbstverwirklichung wird so das Märchen der großen Liebe erzählt. Allerdings reproduziert das vor allem stereotype Geschlechterrollen und heteronormative Ideale. In manchen Videos ist es auch eine Form der Romantisierung, die toxisch sein kann.

Wer durch den Trend scrollt, sieht: Viele der ersten Posts sind nicht einfach charmante Kennenlernversuche, sondern durchzogen von übergriffigem Verhalten. Da wird einer Frau befohlen, sich vor dem ersten Date zu rasieren. Andere Männer formulieren direkt Besitzansprüche oder sexuelle Anspielungen. Und dass die Nachricht „Ich werde dich heiraten“ von einem Fremden eher gruselig als romantisch wirkt, sehen einige, die den Trend mitmachen, anscheinend anders.

Die Botschaft: Auch die fragwürdigste Anmache kann der Anfang für ein „Happy End“ in Form einer Ehe sein.

Es zeigt, wie tief Misogynie mit heteronormativen Vorstellungen von Beziehungen verwoben sind. Übergriffige Nachrichten werden durch die spätere Beziehung nachträglich legitimiert. Nach dem Motto: Er war vielleicht dreist, aber es hat ja geklappt. So verschwimmen die Grenzen zwischen Grenzüberschreitung und Flirt auf gefährliche Weise.

Wieso hat sie überhaupt geantwortet?

Es überrascht nicht, dass mittlerweile ein Gegentrend entstanden ist. Besonders Frauen reagieren auf den Tiktok-Sound mit: „Ich könnte den Trend nicht mitmachen, weil ich auf solche übergriffigen Nachrichten niemals reagieren würde.“

Diese Perspektive ist nachvollziehbar und doch auch Teil des Problems. Statt kritisch zu hinterfragen, warum Männer überhaupt fremde Frauen mit grenzüberschreitenden Sprüchen anschreiben, wird erneut die Verantwortung bei den Frauen abgeladen: Wieso hat sie überhaupt geantwortet?

Besonders perfide wird es dort, wo sich die sogenannte Manosphere – ein loses Netzwerk antifeministischer Online-Communities, die sich für „Männerrechte“ einsetzt – in den Trend einmischt. In einigen Videos von Vertretern der Manosphere werden Frauen, die den Trend mitmachen, dafür kritisiert, ihre Partner bloßzustellen.

Männer, die „zu viele Nachrichten“ geschickt hätten, würden entmännlicht, weil es armselig sei, einer Frau hinterherzurennen. Die Ideologie dahinter ist bekannt: „Richtige Männer“ müssen dominant sein. Frauen haben sich dem zu fügen. Alles beim Alten also.

Der Trend: Aus der romantisierten Erinnerung an den Anfang einer Beziehung wird schnell ein Verstärker für patriarchale Muster. Vielleicht kann Day One irgendwann den Anfang einer Beziehung auf Augenhöhe darstellen, ganz ohne männliche Dominanz und sexistische Rollenvorstellungen.

Vielleicht gibt es one day dann solche Trends irgendwann nicht mehr. Wünschenswert wäre es, aber bis dahin ist noch einiges zu tun.

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10 Kommentare

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  • Wen interessiert TikTok?

    • @Alberta Cuon:

      Wen interessiert Fernsehen, wir haben doch Röhrenradio?

      Schreibt jemand, der sich von T. persönlich bewusst fernhält.

  • "Statt kritisch zu hinterfragen, warum Männer überhaupt fremde Frauen mit grenzüberschreitenden Sprüchen anschreiben, wird erneut die Verantwortung bei den Frauen abgeladen: Wieso hat sie überhaupt geantwortet?"

    Da wird nun aber viel zusammen geworfen.



    Die Verantwortung für grenzüberschreitende Sprüche liegt zweifellos bei demjenigen, der sie verzapft. Alles Weitere bis zur Eheschließung geschieht hoffentlich in gemeinsamer Verantwortung.

  • Das Beschriebene erscheint mir nicht romantisch zu sein. Was besser nichts aus irgendwelchen US-Filmen oder Kitsch-Büchern ist, nebenbei.



    Warum das jedoch überhaupt erst erwähnen? Um einen Gegner aufzubauen?

  • Romantisierte Übergriffigkeit, Erotisierung der Gewalt…



    magenverstimmendes Testo Süppchen in der Männer Welt. Wohl bekommts 😵‍💫🤢🤮

    www.youtube.com/watch?v=KSpJ8eAJcZA

  • Schritt 1 für ein glückliches Leben ist das Löschen aller Social Media Accounts. Dann gibt es auch keine Aufregung um reaktionäre Trends, die in der Regel so kurzlebig sind, dass sich die Aufregung darüber sowieso nicht lohnt.

  • Mal von der grenzwertigen und widerwärtigen Manosphere abgesehen, hadere ich mit der Wahrnehmung des "Trends" durch die Autorin. Ich erinner an den Rorschach-Witz: 'ner Person wird ein Rorschach-Klecks nach dem anderen gezeigt und sie soll sagen, was sie erkennt. "Orgie, Penis, koppulierende Nonnen, Orgie" sind die Antworten. "Sie haben eine schwerwiegende sexuelle Störung.", sagt der/die TherapeutIn. Darauf die Person "Aber Sie haben doch die ganzen versauten Bilder ausgesucht!". In diesem Sinne glaube ich, sollte man seine Wahrnehmungsstandards überprüfen. Hinter den meisten, aber nicht hinter *allen* Darstellungen heterosexueller Menschen steht ein groß angelegter Versuch Queerness zu unterdrücken und Heterosexualität zu propagieren. Manchmal ist es nur ein Klecks. Nicht alles, was nicht meins ist, ist ein Angriff auf das Meine. Und ja, ich habe mir den Trend angschaut. Es ist vieles wirklich gewöhnungsbedürftig. Aber aus anderen Gründen, als den hier angeführten. Leider ist Machtasymmetrie keine Spezielität heterosexueller Beziehungen und die Allgegenwart der Misogynie wird man nicht los, durch Madigmachen der Heterosexualität. "Du liebst falsch" klingt ebenfalls übergriffig.

  • "Diese Perspektive ist nachvollziehbar und doch auch Teil des Problems. Statt kritisch zu hinterfragen, warum Männer überhaupt fremde Frauen mit grenzüberschreitenden Sprüchen anschreiben,..."

    Was muss man da hinterfragen? Es ist doch offensichtlich. Weil es funktioniert.

    Bei den Frauen die das ablehnen, landen diese Typen nicht. Und Männer die das nicht machen haben keine Chance bei den Frauen die das anscheinend gut finden.

    Und da dass so ist finden sich die Menschen die sich brauchen, ob sie sich gegenseitig gut tun ist eine andere Frage.

    • @Hitchhiker:

      Waren haargenau meine Gedanken dazu.

  • Wird jemand gezwungen Tikzok zu nutzen?



    Ich war beim ersten Satz schon raus, das ist in etwa so als ob man sich die Blid Zeitung kauf um sich drüber aufzuregen. 99,9% Müll!