Tourismus in Usbekistan: Schöne Städte hat es schon
Der ausgetrocknete Aralsee soll von Katastrophentouristen entdeckt werden. In Wüstenregionen könnten Spielcasinos für Chinesen Wohlstand bringen.
Lächeln ist schlecht. Lächeln bedeutet Schwäche. Und wer Schwäche zeigt, kann kein Herrscher sein. Der Mann auf der Bühne, dessen Mimik uns in die Feinheiten zentralasiatischer Regierungskunst einweisen soll, blickt so grimmig, wie es die Gesichtsmuskeln erlauben. Dabei sieht er ganz nett aus. Mit seinem gepflegten Vollbart könnte er auch als Hipster in Berlin-Mitte überzeugen. Doch hier, in der Altstadt von Chiva, vor Touristen im Innenhof einer alten Koranschule, mit Pelzmütze und in buntem Kaftan, gilt es eine andere Rolle auszufüllen.
Der junge Mann spielt einen Khan, ein Herrschertitel, den einst die Mongolen in der Region etablierten. „Keine sehr angenehme Zeit“, versichert Fremdenführer Asamat Mirzoyev, während vor der Bühne drei Untertanendarsteller effektgerecht in den Staub sinken: „Man durfte den Khan nicht anschauen, das war anmaßend. Man durfte seinem Blick aber auch nicht ausweichen, das war verdächtig. Beides konnte mit dem Tod enden.“ Die umstehenden Touristen kichern ein wenig verlegen, fast wie erleichtert, dass sie solcher Dilemmata enthoben sind und gleich wieder in ihren Bus zurückkehren können.
Ob die Zeiten, in denen schon Kleinigkeiten Kopf und Kragen kosteten, wirklich vorbei sind, interessiert in diesem Moment ohnehin niemand. Lieber betrachtet man die steinernen Hinterlassenschaften der alten Seidenstraße, jener Handelsroute, deren Geschichte zwar auch von Gewalt, aber mehr noch von Reichtum und Schönheit erzählt.
Wer alte usbekische Städte wie Chiva, Buchara oder Samarkand durchstreift, das Innere ihrer Medressen und Moscheen besucht und sich auf Festungsmauern und Aussichtstürme hinauftraut, kann dieser Geschichte mühelos erliegen. Azurblaue Kuppeldächer, kunstvolle Minarette oder die sandfarbenen Konturen alter Zitadellen erzeugen mühelos das Sehnsuchtsbild eines gemeinhin als märchenhaft bezeichneten Orients, gegen das sich der aufgeklärte, Edward-Said-belesene Reisende doch eigentlich klischeeresistent glaubte.
Reisezeit
Usbekistan hat kontinentales Klima mit heißen Sommern und kalten Wintern. Die besten Reisemonate sind der Frühling von Mitte März bis Mitte Mai sowie die Herbstzeit von September bis Oktober.
Einreise
Die Visumspflicht für deutsche Staatsbürger wurde in diesem Jahr aufgehoben. Es genügt ein Reisepass mit sechsmonatiger Gültigkeit.
Anreise und Transport
Direktflüge mit Uzbekistan Airways mehrmals wöchentlich ab Frankfurt nach Taschkent sowie (saisonabhängig) nach Urgench. Für längere Strecken im Land empfehlen sich preiswerte Inlandsflüge sowie der moderne Hochgeschwindigkeitszug Afrosiab.
Geld und Währung
Bargeld hat Vorrang. Kreditkarten werden selten akzeptiert. Die Landeswährung Som ist nicht konvertierbar. Den größten Teil des Reisebudgets am besten als Cash mitnehmen und vor Ort tauschen. Geldautomaten sind oft nicht ausreichend bestückt.
Doch Wunderwerke wie etwa das Kalon-Minarett in Buchara haben auch nach 900 Jahren nichts von ihrem Zauber verloren. Selbst Dschingis Khan und seine Steppenreiterarmeen sollen von diesem Turm so begeistert gewesen sein, dass sie ihn anders als den Rest der Stadt verschonten.
Die asiatische Despotie
Der berüchtigte asiatische Despotismus ist allerdings auch hier nicht fern. Das in der Wüste weithin sichtbare Minarett diente nicht nur als Leuchtturm für nächtliche Karawanen, sondern auch als Richtstätte für Delinquenten. Die wurden in einen Sack gesteckt und 46 Meter in die Tiefe gestoßen – eine Strafe, die erst 1920 mit der Machtübernahme der Sowjets ihr Ende fand. Die Bolschewisten ließen keinen Zweifel, dass in der von ihnen eingeleiteten Epoche für derartige Strafen kein Platz mehr war.
Der neue Zeitgeist, der solch unerhörte Reformen wie Schulpflicht und Geschlechtergleichstellung erzwang, beseitigte eine Feudalherrschaft, deren Luxusbedürfnisse in Buchara in Palästen wie dem von Faisullah Hodschajev zu besichtigen sind.
Der Spross einer reichen Händlerfamilie begeisterte sich früh für den Sozialismus, verschenkte seinen Wohlstand und avancierte zum Regierungschef der Sowjetrepublik Usbekistan. Genutzt hat es ihm am Ende wenig. Genosse Stalin, der Intellektuellen und Großbürgern misstraute, ließ ihn 1937 erschießen.
Mit den Bolschewisten gelangten nicht nur die Segnungen der Moderne, sondern auch neue Formen von Idiotie und Tyrannei nach Usbekistan. Der Wahn jener Epoche zeigt sich etwa im Westen des Landes, wo der durch exzessiven Baumwollanbau ausgetrocknete Aralsee für die weltgrößte von Menschen gemachte Umweltkatastrophe steht. Unter der von den Sowjets forcierten Baumwollwirtschaft leidet Usbekistan bis heute. Die Monokultur bindet nicht nur zu viel Wasser, sondern auch zu viele Menschen.
Said Alhaire, Hobby-Landwirt
Jedes Jahr in den Sommerferien werden Heerscharen zur Baumwollernte abkommandiert. „Man bekommt einen Brief nach Hause, es ist kaum möglich sich zu entziehen“, erinnert sich Sergey Asadov, Germanistikstudent an der Universität Samarkand. Es sei schon ein Fortschritt, dass der Staat heute keine Kinder und Studenten, sondern nur noch Jugendliche verpflichte. Doch Lust auf die Arbeit habe niemand. „Die geforderten Mengen waren in der Hitze meist kaum zu schaffen. Um das Gewicht zu manipulieren, haben wir oft in die Erntesäcke gepinkelt“, grinst der junge Mann.
Schwerpunkt ist der Tourismus
Monokultur und Kommandowirtschaft können das Land nicht voranbringen, glaubt auch Said Alhaire, ein Unternehmer, der sich als Hobby-Landwirt einen Bauernhof in der Nähe von Samarkand zugelegt hat. Wasser findet sich in der regenarmen Gegend erst in über 80 Meter Tiefe, seine Apfelbaumplantage kann er nur durch Tropfenbewässerung am Leben halten.
„Solche modernen Methoden sind angesichts unserer Wasserknappheit überfällig. Es ist traurig, dass wir immer noch so viel Wasser mit Baumwolle verschwenden. Aber bei uns ist zu lange nichts passiert. Eigentlich haben wir die letzten zwanzig Jahre vergeudet“, bedauert der Geschäftsmann, der als Bus- und Reiseunternehmer zu Geld gekommen ist.
Die Bemerkung zielt auf die Regentschaft von Islam Karimow, der das Land nach der Unabhängigkeit bis zu seinem Tod 2016 stramm autokratisch regierte: Die Opposition wurde brutal unterdrückt, alles Ausländische galt als verdächtig. Weil er das Land vor Kriegen und postsowjetischem Zerfallschaos bewahrte, genießt Karimow in Usbekistan immer noch gewissen Respekt, doch die Erleichterung über sein Ende ist vor allem unter jungen Leuten unübersehbar.
Nachfolger Shavkat Mirziyoyev hat zwar keine Hoffnung auf Demokratie aufkommen lassen, jedoch Reformen ins Werk gesetzt, die gegenüber der bleiernen Zeit unter Karimov nahezu radikal wirken. Viele Regimekritiker durften die Gefängnisse verlassen, die wirtschaftliche Öffnung gegenüber der EU wurde forciert. Schwerpunkt des neuen Kurses ist der Tourismus, wobei vor allem die historischen Städte der alten Seidenstraße im Fokus stehen. Direktflugverbindungen ab Frankfurt und der Wegfall der Visapflicht machen einen Besuch für deutsche Gäste einfacher denn je.
Junge Frauen wie Guzal Kadirova hoffen, von der neuen Zeit zu profitieren. Die Usbekin hat drei Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt, sich aber vor einem Jahr zur Rückkehr in ihre Heimat entschlossen. Im Frühjahr hat sie zusammen mit ihrem Bruder ein kleines Boutique-Hotel in Bucharas Altstadt eröffnet. Der Wille, die neuen Gäste glücklich zu machen, ist spürbar. Ihr mit Krediten finanziertes Hotel ist eine Wette auf die Zukunft: „Mit dem Öffnungskurs unseres neuen Präsidenten werden mehr Besucher kommen. Dass wir die schönsten Städte der Seidenstraße haben, beginnt sich auf der Welt herumzusprechen“, glaubt die Hotelbesitzerin.
Strategieberater der Macht
Ausländische Journalisten, die solchen Optimismus offiziell bestätigt sehen möchten, geraten beim Betreten der staatlichen Tourismusbehörde jedoch in Zweifel. Das schäbige Gebäude im Zentrum der Hauptstadt Taschkent ist kein Symbol des Aufbruchs, sondern Ausdruck postsozialistischer Tristesse. An den Wänden blättert die Farbe, der graue Linoleumboden wölbt sich bedenklich, und auch die Polster haben schon bessere Zeiten gesehen. Der junge Mann, der kurz darauf vor die Gäste tritt, widerlegt diesen Eindruck jedoch mühelos.
Behruz Hamzaev trägt den Titel Strategieberater und ist offenbar direkt aus dem Hauptseminar für internationales Marketing in die Behörde gewechselt. Atemlos beschreibt er Investitionsprogramme und Infrastrukturpläne, Qualifizierungsoffensiven und Marketingbudgets, Steuererleichterungen und Werbekampagnen. Selbst für die dunklen Flecken des Landes existiert schon ein neuer Masterplan: Der ausgetrocknete Aralsee soll von Katastrophentouristen entdeckt werden, in den armen Wüstenregionen Usbekistans sollen Spielcasinos für reiche Chinesen neuen Wohlstand hervorbringen.
Aber verstößt Glücksspiel nicht gegen den Islam? Herr Hamzaev pariert mühelos: „Wir Sunniten in Usbekistan leben einen sehr liberalen Islam. Das heißt: Jeder hat die Freiheit, solche Casinos zu meiden.“
Und was ist mit der schlimmen Unterdrückung von Meinungs- und Pressefreiheit im Land? „Das ändert sich alles. Wir werden unsere gesamte Kommunikation neu aufstellen. Dazu haben wir eine renommierte Londoner Werbeagentur beauftragt. Wir werden Blogger und Influencer einladen! Wir werden große Summen ausgeben!“ Die ausländischen Journalisten im Raum blicken ein wenig ratlos. Chinesische Zocker in der Wüste? Pressefreiheit durch Werbeagenturen?
Nach Steppenreitern und Stalinisten haben jetzt offenbar die Strategieberater die Macht im Land übernommen. Aber kein Grund zur Panik. Die Usbeken im Raum sind von dem energiegeladenen Auftritt ihres Landsmannes begeistert. „Endlich passiert etwas bei uns“, sagt eine junge Frau. „Wenn doch schon mehr Leute bei uns so denken würden wie er.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen