Tote an polnisch-belarussischer Grenze: Zurück über die Grenze geschleift
Nach dem Tod von vier Menschen in der Grenzregion zu Belarus werden neue Details zur Leiche einer Irakerin bekannt. Viele Polen sind schockiert.

Darunter ist ein nicht mehr ganz aktuelles Bild von der Grenzsituation zu sehen: Polnische Soldaten stehen vor einer Gruppe von Flüchtlingen. Eine junge Frau versucht ihnen irgendetwas zu erklären. „Wahrscheinlich ist sie noch am Leben“, kommentiert der Mann das Bild. „Aber die tote Irakerin auf belarussischer Seite und die anderen drei Iraker auf unserer Seite – die haben wir auf dem Gewissen.“
Der Ausnahmezustand, den Präsident Andrzej Duda am 2. September über die Grenzregion zu Belarus verhängte, wirkt wie eine Nachrichtensperre. Journalist:innen haben keinen Zutritt, dürfen weder mit den Leuten vor Ort reden noch Fotos machen.
Zunächst klang der Fall der toten Irakerin, die am Sonntag nur einen Meter von der polnischen Grenze entfernt auf belarussischer Seite gefunden wurde, mehr als mysteriös. „Die Schleifspuren zeigen, dass die Leiche der Frau über die Grenze gezogen wurde“, sagte ein belarussischer Grenzsoldat in die laufende Kamera. Der polnische Grenzschutz dementierte sofort. Das sei belarussische Propaganda.
Gestorben vor den Augen der Familie
Doch auch ihr Mann erzählte, und so fügte sich die Geschichte langsam zusammen. Die Irakerin, die leblos auf belarussischer Seite gefunden wurde, war mitsamt ihrem Mann, ihren drei Kindern und einer älteren Frau bereits auf polnischer Seite gewesen. In einem Dorf hatten sie ihre nassen Sachen und Schuhe trocknen und sich aufwärmen wollen. Doch der „Gastgeber“ verständigte den polnischen Grenzschutz, der mit mehreren bewaffneten Soldaten die Familie – barfuß und ohne Jacken – sofort wieder in die Kälte und Richtung belarussischer Grenze trieb.
Obwohl die Frau sagte, sie könne nicht mehr weiter, wurde sie heftig nach vorne gestoßen. Kurz vor der polnisch-belarussischen Grenze scheint sie hingefallen und gestorben zu sein – vor den Augen der Familie. Während die Familie zurück über die Grenze nach Belarus getrieben wurde, scheint die Leiche der Frau einige Meter über die Grenze gezogen worden zu sein. Dort wurde sie am Sonntag gefunden, umgeben von ihrer Familie. Ihre Schuhe aber wurden bei dem polnischen „Gastgeber“ entdeckt. Für Premier Mateusz Morawiecki ist das alles nur eine „belarussische Provokation“.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens