Tötung eines slowakischen Journalisten: Mörderischer Parallelstaat
Im Fall des Mordes an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciák und seiner Verlobten 2018 wird gegen weitere Ex-Polizisten und Justizbeamte ermittelt.
Umso größer war das Erstaunen, als noch vor Jahresende 2018 fünf Tatverdächtige festgenommen wurden. Als Strippenzieher gilt der slowakische Geschäftsmann Marián Kočner, dessen unternehmerische Aktivitäten immer wieder im Fokus von Kuciáks Recherchen standen: Steuerhinterziehung, gefälschte Wechsel, Bestechung.
Die unternehmerischen Aktivitäten Kočners waren ein wahres Füllhorn für einen Journalisten wie Ján Kuciák. Der kannte die Datenbanken und Handelsregister, die Tricks, mit denen Leute wie Marián Kočner ihre dunklen Geschäfte gut genug verschleierten, um Zusammenhänge zu erkennen und zu einem Bild zusammenzufügen.
Das Bild der Slowakei legt einen Parallelstaat offen, der seit der Unabhängigkeit 1993 im Verborgenen gedeiht. In ihm ziehen alte Seilschaften des kommunistischen Regimes und dessen moskaugeschulte Nachwuchseliten mit den Schwarzhändlern von damals im Rahmen der neuen politischen Strukturen der Nachwendezeit im Hintergrund die Strippen.
Noch ein Auftragsmord
Das ist ein Gefüge, ohne das Marián Kočner seinen Hassfeldzug gegen Kuciák nicht bis zum Äußersten hätte durchziehen können. Abgedrückt hat ein ehemaliger Soldat. Der wurde von einem Ex-Polizisten zum Tatort gebracht. Beide sind noch eines weiteren Auftragsmords angeklagt. Die Grenze zwischen Staatsgewalt und Mafia scheint in der Slowakei fließend zu sein.
Denn wie jetzt die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Kuciák-Ermittlungen mitteilte, besteht der Verdacht, dass weitere ehemalige Polizisten und Justizbeamte Marián Kočner zur Seite standen. Sie sollen sich doch bitte freiwillig melden, ließ Generalstaatsanwalt Jan Cižnar verlauten. Dann könnten sie auch mit mildernden Umständen rechnen, versprach er.
Die wohl derzeit wichtigste Person in den Ermittlungen beziehungsweise dem anstehenden Gerichtsverfahren im Falle Kuciák ist ein ehemaliger Journalist, der seine vielversprechende Karriere bei der Tageszeitung Sme vor Jahren gegen einen leitenden Job im slowakischen Nachrichtendienst getauscht hat.
Heute ist Peter Tóth ein gejagter Mann. Obwohl der Polizei seine Zeugenaussage vorliegt, hat Tóth Angst und versteckt sich momentan im Ausland, auch in Deutschland, wo er im Juli in München den Investigativreporter Radován Braník traf. „Wenn Tóth nicht beim Prozess gegen Kočner aussagt, wird der nicht verurteilt werden können“, meint Braník. „Und Schutz hat er momentan keinen. Nur Angst.“
„Paparazzi“ spielen
Kein Wunder. Nur Peter Tóth kann bezeugen, dass Marián Kočner hinter Journalisten her war, die ihm unangenehm waren. Kočner habe ihn beauftragt, bei ausgesuchten Journalisten „Paparazzi“ zu spielen. Man müsse schließlich auch die Machenschaften von Journalisten aufdecken, erklärte Kočner dem Ex-Journalisten, der zum Geheimdienstmann wurde.
Seitenlang erzählt Tóth in einer Zeugenaussage von Kočner und seinem „Paparazzi“-Spielchen, die er im Auftrag und im Sold Kočners betrieb. Außer ihm hatte Kočner einen weiteren Verbündeten: Norbert Bödör ist Chef der größten privaten Sicherheitsfirma der Slowakei. Zudem ist er verschwägert mit dem langjährigen Polizeipräsidenten des Landes, der nach dem Kuciák-Mord zurücktreten musste.
Journalisten bespitzeln gehörte im Sumpf der Slowakei mit zum Ökosystem. Schon 2013, als mächtige Investorengruppen des Landes ihre Medienmacht durch Einkäufe erweitern wollten, ließen sie Journalisten, deren Widerstand sie fürchteten, von privaten Sicherheitsleuten, oft geschult von Polizei oder Nachrichtendiensten, ausspionieren.
Marián Kočner mag für den Doppelmord an Ján Kuciák verurteilt werden. Aber er ist nichts weiter als die Spitze eines perfiden Systems, das das Land mit einem Netz aus organisiertem Verbrechen und politischer und wirtschaftlicher Macht überzogen hat. Dieses System ist Herr über Leben und Tod geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen