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Tödliche SchlangenbisseDie vergessene Krankheit

Rund 150.000 Menschen pro Jahr kommen durch einen Schlangenbiss ums Leben. Die meisten von ihnen könnten gerettet werden.

Francis Ngombo, ein ehemaliger Mitarbeiter von der Bio-Ken-Schlangenfarm, wurde schon mehrmals gebissen Foto: Ilona Eveleens

Watamu taz | Behutsam und dennoch selbstsicher fast Boniface Momanyi die Puffotter hinter den Kopf. Das Reptil zappelt, aber wird mit der anderen Hand unter Kontrolle gehalten. Das offene Maul mit den beeindruckenden Zähnen wird auf Kunststofffolie gepresst, die über ein Glas gespannt ist. Einen Moment später rieselt eine winzige Menge Gift in das Glas, genug, um vier oder fünf Menschen zu töten. „Aber dieses Gift wird verwendet um Menschenleben zu retten“, sagt Momanyi, Vorarbeiter der Schlangenfarm Bio-Ken im kenianischen Ferienort Watamu. „Schließlich wird Antiserum aus Schlangengift hergestellt.“

In Dutzenden von Terrarien unter schattigen Bäumen ist eine große Vielfalt an Schlangen zu sehen. Einige sind harmlos, aber viele auch giftig. Die Schlangenfarm ist mehr als ein Ort, an dem Touristen erschaudern können an der Speikobra, der Baumschlange, der Schwarzen und Grünen Mamba. Hier werden Schlangen gemolken und das Gift wird nach Südafrika verschickt, wo es für die Anfertigung von Antiseren benutzt wird. „Menschen töten oft Schlangen, weil es viel Ignoranz und Aberglaube gibt. Schlangen sind ein Teil der Natur, und die giftigen sind nützlich für Antiseren, an denen es einen riesen Mangel gibt.“

Grob geschätzt sterben weltweit etwa 150.000 Menschen an Schlangenbissen pro Jahr, und mehr als doppelt so viele Menschen bleiben behindert. In Afrika südlich der Sahara führen mindestens 32.000 Bisse zum Tod.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat kürzlich Schlangenbisse als vernachlässigte tropische „Krankheit“ eingestuft. Damit hofft die WHO, dass mehr Antiseren produziert werden, um den Mangel an Gegengiften zu bekämpfen.

Bisse von Giftschlangen können überlebt werden, wenn es das Gegengift gibt, aber die meisten staatlichen Krankenhäuser in Kenia und in anderen afrikanischen Ländern haben keine bezahlbaren und gut wirksamen Antiseren vorrätig. Gutes Gegengift ist teuer. Infolgedessen sind Schlangenbisse hauptsächlich eine tödliche Krankheit für die Armen.

Krankenhausrechnung jahrelang abbezahlt

Mensa Benjamin (19) kann darüber mitreden. „Vor sechs Jahren hat mich, als ich Cashewnüsse gepflückt habe, eine Schwarze Mamba gebissen. Ich bin nach Hause gerannt, und meine Familie hat einen traditionellen Heiler geholt, der einen schwarzen Stein auf die Wunde gelegt hat. Aber es hat nicht geholfen. Danach weiß ich nichts mehr. „Er verlor das Bewusstsein und wurde schließlich zu Bio-Ken gebracht, wo es Serum gegen Mamba-Bisse gab. Danach wurde er zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht. Benjamins Eltern sind arme Bauern, die noch jahrelang seine Krankenhausrechnung abbezahlen mussten. Das teure Serum bei Bio-Ken hingegen kostete nichts.

Die Narbe des Bisses ist kaum sichtbar am Bein des Teenagers, der jetzt auf der Schlangenfarm arbeitet. Eine bemerkenswerte Berufsentscheidung. „Die Leute und die Arbeit hier haben mich gerettet. Ich arbeite gerne hier und habe keine Angst vor Schlangen“, sagt Benjamin. Er weiß, dass Antiseren da sind im Falle eines Bisses.

Francis Ngombo (50), ein ehemaliger Mitarbeiter von Bio-Ken, hat davon reichlich Gebrauch gemacht. „Ich bin fünf Mal gebissen worden in meiner 20-jährigen Karriere hier. Ich war gut in meiner Arbeit, hatte aber ein paar Mal Pech. Es war immer ein beruhigender Gedanke, dass es Antiseren hier gibt.“ Das Einzige, was noch an seine Begegnungen mit Gift erinnert, ist ein krummer Finger. Jetzt ist er pensioniert und lebt auf einer kleinen Insel, auf der er täglich nach Schlangen sucht. Wird er fündig, bringt er sie zu Bio-Kent. „Ich mag die Tiere gern. Es ist wichtig, sie zu schützen, andere bringen sie nur um.“

Das Einzige, was noch an seine Begegnungen mit Gift erinnert, ist ein krummer Finger

Bio-Ken arbeitet mit Health Action International (HAI) zusammen, einer NGO in Amsterdam, die mit niederländischen Regierungsgeldern ein Projekt leitet, um Schlangenbisse auf die internationale Agenda zu setzen. „Malaria und HIV bekommen zum Beispiel viel Aufmerksamkeit, aber Schlangenbisse sind wirklich eine vergessene Krankheit“, bemerkt Ben Waldmann von HAI.

Die Organisation sammelt Daten in Kenia, Uganda und Sambia und informiert Bevölkerung und medizinisches Personal über Schlangenbisse. „Natürlich ist auch eine Massenproduktion von bezahlbaren und gut funktionierenden Antiseren nötig, damit wird es schließlich eine gut behandelbare Krankheit“, sagt Waldmann bei einem Besuch auf der Schlangenfarm.

Gegengift wird seit langer Zeit auf gleicher Weise hergestellt. Eine geringe Menge Gift wird gesunden Pferden injiziert, diese produzieren Antikörper. Aus Pferdeblut wird dann im Labor das Antiserum produziert. „Es schadet den Pferden nicht“, versichert Waldmann. Das Serum muss gekühlt aufbewahrt werden. Es hat nur eine begrenzte Haltbarkeit.

Vipern und Nattern

In Afrika sind es vor allem zwei Schlangenfamilien die gefährliche Bisse abgeben: Giftnattern (Elapidae) und Vipern, die auch als Ottern bezeichnet werden (Viperidae). Das Gift von beiden Familien ist sehr unterschiedlich. Das Gift der Nattern verursacht Symptome im gesamten Körper. Lähmungen entstehen, weil das Neurotoxin verhindert, dass Muskeln Signale von den Nerven bekommen. Das Vipern-Gift hingegen zerstört das Gewebe und verhindert die Blutgerinnung.

Es gibt zwei Arten von Seren. Das sogenannte polyvalente – damit können Bisse von verschiedenen Schlangen behandelt werden. Das monovalente Serum wirkt nur ­gegen das Gift einer Schlangenart oder nahe verwandter Tiere. Es ist noch nicht möglich, Antiseren künstlich herzustellen.

Die Kilifi-Region, in der sich Watamu befindet, gehört zu den Gebieten in Kenia, in denen die meisten Schlangen vorkommen. Das warme Küstenklima und die üppig wachsenden Sträucher bilden einen günstigen Lebensraum für Schlangen. Es ist auch eine Region, in der Menschen unter schlechten Bedingungen leben. HAI empfehlt, Gras und Büsche rund um das Haus zu entfernen und das Bett auf Beine zu stellen, anstatt auf einer Matratze auf dem Boden zu schlafen. Aber vor allem ist es geboten, nicht zu einem billigen traditionellen Heiler, sondern in ein Krankenhaus zu gehen.

Ärzte müssen besser informiert werden

In der kleinen Klinik des Arztes Eugene Erulu in Watamu wartet nur ein Patient auf einer Holzbank. Die Apothekerin ist beschäftigt mit ihrem Handy. In seinem übervollen Zimmer erzählt Doktor Erulu: „Wir bekommen zwei oder drei Schlangen­bisse pro Monat, aber das Regierungskrankenhaus in Malindi bekommt die gleiche Anzahl pro ­Woche.“

Durch zusätzliche Studien und die Zusammenarbeit mit der nahegelegenen Schlangenfarm und HAI ist er ein Experte auf dem Gebiet der Schlangen und deren Bissen. „Viele Ärzte haben wenig Ahnung von Schlangenbissen, weil es kein separater Teil des Studiums ist. Es ist wirklich wichtig, dass Ärzte besser Bescheid wissen. Vor allem, wenn sie in Gebieten arbeiten, wo es viele Schlangen gibt“, meint der Arzt.

Er ist sehr kritisch hinsichtlich der Antiseren, die auf dem Markt sind. Manche sind nicht geeignet für Afrika. Andere wirken kaum, wenn sie verabreicht werden. „Es ist jetzt wichtig für die WHO, zu testen, welche Antiseren gut funktionieren und welche in den Mülleimer gehören.“

Hat er Angst vor Schlangen? Er schüttelt lachend den Kopf. „Wenn man sofort nach dem Biss ins Krankenhaus geht und das richtige Gegenmittel bekommt, steht man am nächsten Tag wieder auf. Bisse giftiger Schlangen brauchen überhaupt nicht tödlich zu sein.“

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2 Kommentare

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  • Viel Erfolg beim produzieren der richtigen Seren und für eine schnelle Behandlung!

    Aber der Artikel zeigt auch Widersprüchlichkeit von "Afrika". Wieso sind simple Hinweise zur Vermeidung von Schlangenbissen von einer EU (mit-)finanzierten Organisation mit Sitz in Amsterdam notwendig? Sollten lokale Populationen nicht längst selber wissen, dass man Matrazen besser auf ein Bett legt? Selbst wenn es kein uraltes Wissen ist, 2/3 der Bevölkerung Kenias nutzen angeblich online-Bezahldienste mit dem Smartphone. Zumindest diejenigen könnten sich auch im Neuland über die Gefahren und Gefahrenvermeidung informieren und ggf. ihren Nachbarn das Wissen weitergeben.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @fly:

      99% in Deutschland benutzen Smartphones und Tausende sterben vorzeitig an Dieselabgasen.